Explosionswolke im Hafen von Beirut
Nothilfe Beirut

Spendenprojekt des
„Dar Assalam für Interkulturelle Reisen“

(Eingetragener gemeinnütziger Verein im Libanon, List Number 1037,
Wardaniyéh-Schoufberge/Iqlim al Kharoub, POBox 92, Saida / Lebanon,
Phone: 00961-3-701044 / 009617-970410,
Fax: 009617-970411,
E-Mail: darassalam_libanon@hotmail.com,
www.libanon-reise.com)
Hier ein erster Bericht von Said Arnaout und seiner Frau Latife
Abdul Aziz über ihren gemeinsamen Aufenthalt vom 04.09.- 26.09.2020 im Libanon und ihre Arbeit vor Ort, um die Opfer der
verheerenden Explosion in Beirut zu unterstützen.
Aufgrund der Corona-Pandemie müssen wir gemäß libanesischen Einreisebedingungen zunächst in Deutschland einen (teuren) Corona- Test machen, der wie erwartet negativ aushält, und einen zweiten Test dann am Flughafen in Beirut (ebenfalls negativ).
Die Ausmaße der Zerstörung, von denen wir im Fernsehen und in den sozialen Medien schon viele gesehen haben, sind – steht man selbst davor – noch viel erschreckender. So viele Häuser liegen in Trümmern oder sind zumindest unbewohnbar. Wir können unsere Spendengelder nicht für den Wiederaufbau oder den Renovierungen verwenden, dazu reichen unsere bescheidenen Mittel bei weitem nicht aus. Die Gelder sollen allein in Sachspenden in Form von Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs umgewandelt werden sowie die Kosten und Unterbringung und Verpflegung obdachloser Frauen im Dar Assalam decken.
Am ersten Tag, Freitag, den 04.09.2020, versuchen wir, uns einen Eindruck über die Arbeit der Hilfsorganisationen in Beirut zu verschaffen. Außerdem suchen wir, leider vergeblich, nach staatlichen Hilfen für die Opfer der Explosion. Viele, viele ehrenamtliche Helfer aus Beirut, aber auch aus zahlreichen Gemeinden im ganzen Land (darunter auch aus Wardaniyeh, dem Standort des Dar Assalam), sowie palästinensische Hilfsorganisationen haben seit dem 05.08.2020 Berge von Schutt und Trümmern meist per Hand aus den zerstörten Häusern und den Straßen entfernt. Auch einige NGOs halfen durch die Ausgabe von Lebensmitteln und warmen Mahlzeiten an die Betroffenen. Viele Bewohner weigern sich aus Angst vor Plünderern ihre baufälligen Wohnungen zu verlassen, wenn auch nur ein Raum halbwegs bewohnbar ist. Und die Sorge vor Plünderungen ist aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise und der galoppierenden Inflation, die auch große Teile des Mittelstandes verarmt hat, begründet. Diejenigen, deren Wohnungen komplett zerstört wurden, haben Zuflucht in Klöstern, Kirchen oder bei Verwandten gefunden. Auch diese versuchen sich möglichst in der Nähe ihres ehemaligen Zuhauses aufzuhalten, um eine mögliche Instandsetzung zu organisieren.
Wir besuchen die NGO „Campaign Dafa“ (Dafa heißt Wärme). Diese 2015 von der ehemaligen Journalistin Paula Jakobjan (jetzt parlamentarische Abgeordnete) gegründete Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, Unterstützung in Form von Sachspenden an benachteiligte Menschen im gesamten Libanon zu verteilen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem religiösen Hintergrund. Auch in der jetzigen Situation versucht sie, die betroffenen Personen mit Sachspenden zu unterstützen. Die Organisation verfügt über ein großes Netzwerk von ehrenamtlichen Helfern.


Am zweiten Tag, Samstag, den 05.09.2020, begleite ich ein Arztehepaar aus Bad Kreuznach
durch die zerstörten Gebiete in Beirut:
Dr. Eva Borsche (Allgemeinmedizinerin) und Dr. André Borsche (Chefarzt in der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie an
der Kreuznacher Diakonie) in Begleitung einer Freundin und ehemaligen Fernsehjournalistin Ulrike Eichin, die auf Einladung des Hospitals
Libanais-Geitaoui im Libanon sind.
Sie bringen uns weitere 30.000 € aus unserer Spendenaktion mit, die auf das Konto von „Netzwerk am Turm e. V.“ Bad Kreuznach gingen, da wegen der Finanzkrise eine Überweisung von Devisen im Libanon mit Risiken verbunden war.
Gemeinsam treffen wir uns mit Vertretern der „Campaign Dafa“ und können deren Lager besuchen, in dem sich die Benachteiligten bzw. nun die von der Explosion Betroffenen Lebensmittel abholen können. Ältere Menschen werden die Lebensmittel gebracht.

Wir beraten uns u.a. über die die Organisation von Lebensmittel-Paketen
an Betroffene. Später besuchen wir zusammen eine fünfköpfige Familie,
deren Schicksal stellvertretend für das der zahlreichen Betroffenen steht:
Der 36 jährige Sohn starb bei der Explosion, die Mutter wurde verletzt
und man konnte sie in keinem Krankenhaus behandeln, es gab
Prioritäten und aufgrund ihrer Verletzungen wurde ihre Behandlung
verschoben, erst 2 Tage später erhielt sie medizinische Versorgung. Ein
großer Teil des Hauses wurde bei der Explosion zerstört.
Der libanesische Staat ist nicht daran interessiert, Häuser wieder aufzubauen oder wenigstens dabei zu helfen. Die Familie musste daher 20 Tage außerhalb ihres Hauses schlafen. Durch einen Spender wurde das Haus mit Metallbalken gestützt und teilweise restauriert, so dass die Familie einen Raum wieder bewohnen kann.

Die Familie hat die Fenster provisorisch mit Folie abgedeckt, da das Glas bei der Explosion zu Bruch ging. Im Moment können sie das so überbrücken, da es noch warm ist. Aber ab nächstem Monat wird es kühl werden und regnen, dafür taugt dieses Provisorium nicht.
Die NGOs unterstützen viele Menschen mit Lebensmitteln, Wasser und z.B. Matratzen, auch diese Familie. Einige Wohlfahrtsverbände planen eventuell einige der zerstörten Wohnungen wieder aufzubauen, allerdings weiß niemand, wann dies konkret geschehen wird.
Am Abend steht noch ein gemeinsames Treffen auf der Tagesordnung mit Herrn Dr.med. Jalloul, dem Vertreter der „Secours Populaire Libanais“ (Libanesische Volkshilfe), einer 1974 gegründeten NGO, die im Bereich der nachhaltigen menschlichen Entwicklung arbeitet. Ihr Motto lautet „Gemeinsam für den Menschen“, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Geständnis oder Glauben. Das Treffen ist sehr fruchtbar und es wird vereinbart, dass „Secours Populaire Libanais“ sich um das Erfassen von chirurgischen Härtefällen unter den Betroffenen der Explosion kümmern wird. Unter der Leitung von Dr. Borsche wird ein Team Patienten in Beirut operieren oder mit Zustimmung seiner Klinik, Patienten, die eine komplexe rekonstruktive Chirurgie benötigen, kostenlos in der Kreuznacher Diakonie behandeln

Am dritten Tag, Sonntag, der 06.09.2020 sind wir in Beirut und sprechen mit Betroffenen. Später wir uns mit der Psychologin Frau Dr. Caroline Succar. Wir vereinbaren, dass sie mit einer weiteren unterstützenden Kraft der diplomierten Psychologin Mountha Chalaan (die an einer 4- teiligen Fortbildungsreihe im Dar Assalam für den Umgang mit traumatisierten Frauen und Kindern teilgenommen hat) einen Jour fixe für die psychologische Unterstützung von Frauen einrichten wird, die Opfer der Explosion wurden. Dieser Termin soll einmal wöchentlich im Dar Assalam stattfinden und sowohl für dort vorübergehend wohnende, obdachlose Frauen offen sein als auch für andere Beiruterinnen.
An dieser Stelle möchten wir noch auf die 43 Menschen aufmerksam machen, die eine notdürftige Behausung im Beiruter Hafen gefunden hatten und dafür am 04. August mit dem Leben bezahlen mussten. Es handelte sich bei ihnen entweder um syrische Flüchtlinge oder entlassenen ausländischen Hausangestellten, die aufgrund der Wirtschaftskrise keinen neuen Job finden konnten und denen das Geld für einen Rückflug in ihre Heimatländer fehlte.
Wir besuchen unter anderem diese syrische fünfköpfige Flüchtlingsfamilie, die die Explosion im Hafen von Beirut miterlebte.

Der Ehemann fand inzwischen eine Arbeit in der Stadt Jounieh (20 km nördlich von Beirut). Unsere Freundin Dr. Caroline Succar fand für die Familie eine winzige Zwei-Zimmerwohnung dort. Die Familie beherbergt außerdem die Schwester den Vaters mit ihrem 4 Monate alten Säugling und die Schwester des Vaters. Die Miete für die Unterkunft beträgt 2/3 des Monatsgehalts des Vaters. Durch den Währungsverfall ist die Miete für uns umgerechnet in Euro momentan äußerst billig. Aus Spendengelder (einer anderen Spendenaktion) haben wir die monatliche Miete für ein Jahr (Gesamtsumme 900,-€) übernommen.
Am vierten Tag, Montag, den 07.09.2020 gelingt es uns endlich Spendengelder, die im Rahmen unserer Weihnachtsspendenaktion gesammelt wurden, der Zuständigen Leiterin des Projektes „Alphabet“ Frau Narim Gannama und ihrem Sohn Sami zu übergeben. Der Staatsbankrott des Libanons und die damit verbundene Unmöglichkeit, Devisen vom Konto abzuheben sowie das monatelange Einreiseverbot aufgrund der Covid-19-Pandemie, hatten dies bislang verhindert. Insgesamt gingen Spenden in

Höhe von 3.340,00 € für den Verein "Alphabet" ein, der mehrere Zeltschulen in den syrischen Flüchtlingslagern in der Bekaa-Ebene errichtet hat, da den syrischen Flüchtlingskindern der Besuch der libanesischen staatlichen Schulen aus verschiedenen Gründen unmöglich ist. Wir hatten diese Schule im letzten Jahr mit verschiedenen Reisegruppen im Rahmen verschiedener interkultureller Reisen (mit der „taz“, dem „Ausländerpfarramt Bad Kreuznach“ und der „Reformierten Kirchgemeinde Zollikofen“) besucht.

Am Nachmittag treffen wir uns mit Vertreterinnen von „Kafa“ (s.u.) und „RDFL“ (s. u.), mit denen wir auch im Rahmen unserer Reisen schon mehrere Gesprächsrunden geführt haben (unter den Reisenden befinden sich viele Spender, denen wir hier von Herzen danken möchten), und sprechen über die Möglichkeit, obdachlose Frauen in unserer Begegnungsstätte Dar Assalam aufzunehmen sowie über die Organisation von Hilfspaketen für betroffene Frauen. Übereinstimmend erklären beide NGOs, dass die Hilfslieferungen überwiegend aus Lebensmitteln beständen, es aber an Putz- und Hygiene-Artikeln fehle.
Am fünften und sechsten Tag, Dienstag, den 08.09.2020 und Mittwoch, den 09.09.2020, erstehen wir große Mengen an Putzmittel und Hygieneartikel und können 300 Pakete zusammenstellen, von denen jeweils 100 an drei verschiedene Nichtregierungsorganisationen gehen:

- an die Organisationen "RDFL" (Libanesische demokratische Frauenvereinigung), eine säkulare Nichtregierungsorganisation für Frauen, die sich der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen widmet und sich darum bemüht den Status und die Teilhabe von Frauen zu fördern und sie zu stärken, um die volle Gleichstellung beider Geschlechter zu erreichen,
- an "Kafa" (`„Genug“ an Violence & Exploitation` ist eine feministische, säkulare, libanesische, gemeinnützige, nichtstaatliche zivilgesellschaftliche Organisation, die eine Gesellschaft schaffen will, die frei von sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen patriarchalischen Strukturen ist, die Frauen diskriminieren. "KAFA" hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2005 zum Ziel gesetzt, alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und Ausbeutung zu beseitigen),
- an „Campaign Dafa“ (s.o.).
Außerdem werden an dieselben Organisationen jeweils 100 Pakete mit Lebensmittel übergeben, die wir gekauft haben.

Am siebten Tag, Donnerstag, den 10.09.2020 und am achten Tag, Freitag, den 11.09.2020 besuchen wir eine weitere NGO, führen verschiedene Gespräche und organisieren weitere Hilfshilferungen.
Es handelt sich um „Beit al-Baraka“, eine 2012 gegründeten NGO, die überkonfessionell benachteiligten Personen hilft. Diese Hilfe umfasst Lebensmittellieferungen, medizinische Unterstützung, Hilfe bei der Renovierung und Instandhaltung von Wohnungen sowie eine Initiative für ökologischen Anbau. Wir besuchen ihren „Tafel-Supermarkt“ (im Unterschied zu Deutschland handelt es sich bei den Waren aber nicht um Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist).


Hier können die durch die Explosion betroffene Menschen aussuchen und mitnehmen, was sie tatsächlich benötigen. Sie erhalten einen Gutschein in Höhe von 50 Bonuspunkten, mit diesem können Sie „einkaufen“. Jedes Produkt „kostet“ bestimmte Bonuspunkte. Ältere Personen können Lebensmittel bestellen und ehrenamtliche Helfer bringen die Ware zu ihnen.
Auch die Vertreter von „Beit Al-Baraka“ sind erfreut über unsere Idee, auch Hygieneartikel und Putzmittel an die Betroffenen auszugeben, da dieser Faktor immer vernachlässigt werde. Wir bringen ihnen ein Beispiel-Paket mit entsprechenden Produkten mit. Wie auch allen anderen NGOs, die wir bisher besuchten, erklären wir, dass unsere Hilfe allein Sachspenden umfasst und wir keine Geldspenden leisten. Darüber hinaus werden wir die Kosten für die Unterbringung, Verpflegung und psychologische Betreuung obdachloser Frauen im Dar Assalam übernehmen.

Weitere Hilfslieferungen
Die Erschöpfung angesichts der Elends und unseres Hilfsmarathons zwingen uns, die nächsten beiden Tage eine Pause einzulegen.
Am elften Tag, Montag, den 14.09.2020 und am zwölften Tag, Dienstag, den 15.09.2020 führen wir verschiedene Gespräche mit Vertreterinnen der diversen, bereits aufgeführten NGOs. Ziel ist es, die weitere Bedarfslage der betroffenen Frauen zu ermitteln, um darauf die weiteren Hilfslieferungen abzustimmen. Wir erhalten durchwegs positive Rückmeldungen über den Inhalt und die Qualität der verschiedenen Hilfspakete.
Am dreizehnten Tag, Mittwoch, den 16.09.2020 besuchen wir eine weitere Hilfsorganisation, die wir im Laufe unserer Arbeit kennengelernt haben. „Fe-Male“. Fe-Male ist ein ziviles feministisches Kollektiv, das mit Frauen und Mädchen zusammenarbeitet, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Es will eine junge feministische Bewegung aufbauen und so Akteure des Wandels befähigen, gemeinsam gegen diskriminierende

Normen und Richtlinien zu kämpfen. "Fe-Male" wurde 2013 als nationale Nichtregierungsorganisation im Libanon registriert. Die Vertreterinnen berichten uns, dass aufgrund der galoppierenden Inflation notwendige Hygieneartikel, die Mädchen und Frauen während der Menstruation benötigen, für viele unerschwinglich geworden sind.
Am vierzehnten Tag, Donnerstag, den 17.09.2020, holt meine Frau Latife Abdul Aziz bei einer Firma, die diese Artikel vertreibt, ein Angebot ein. Wir vereinbaren, dass uns gemäß den Bedürfnissen der Frauen und Mädchen die nötigen Hygieneartikel und zusätzlich Badeartikel in den nächsten Tagen geliefert werden.
Am fünfzehnten Tag, Freitag, den 18.09.2020 und am sechzehnten Tag, Samstag, den 19.09.2020 sammeln wir bei den verschiedenen Frauenorganisationen Informationen über obdachlose Frauen, denen wir im Dar Assalam eine vorübergehende Bleibe anbieten können.
Am siebzehnten Tag, Sonntag, den 20.09.2020, führt Latife Abdul Gespräche mit der Musiktherapeutin Susi Abi Samra und der Ärztin Dr. Gamal Ftouni. Es wird vereinbart, dass diese Erwachsene aus den besonders von der Explosion betroffenen Gebieten eine Musiktherapie in Form eines Jour fixe einrichten werden, der einmal die Woche im Dar Assalam tagen soll. Die Musikinstrumente werden von der Begegnungsstätte gestellt. Dieses Angebot soll den Betroffenen die Möglichkeit geben, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten.
Am achtzehnten Tag, Montag, den 21.09.2020 führen wir weitere Gespräche mit der "RDFL". die Hände ringend Sponsoren für jeweils ein Monatsgehalt ihrer Angestellten in Beirut suchen. Wir können diese leider nicht übernehmen, vereinbaren aber ihr Anliegen mit dem Vorstand des Dar Assalam und Pfarrer S. Pick, der dem „Netzwerk am Turm e.V.“ vorsteht, zu besprechen.
Am neunzehnten Tag, Dienstag, den 22.09.2020 führen wir
verschiedene Gespräche mit Vertreterinnen/Vertretern der von uns
unterstützten NGOs:
- Secours Populaire Libanais (LibanesischeVolkshilfe).
- Fe-Male
- Libanesischen demokratischen Frauenvereinigung“ („RDFL“)
- Kafa, vertreten durch die Vorsitzende Frau Zoya Rohana (auch ihre Wohnung wurde durch die Explosion zerstört) und die
Mitarbeiterin Hanan Yassin


Am zwanzigsten Tag, Mittwoch, den 23.09.2020 empfangen wir die erste Gruppe von insgesamt 14 Frauen im Dar Assalam, die wir für die nächsten Wochen bzw. Monate in unserer Begegnungsstätte beherbergen werden.

(hier beim Mittagessen auf dem Balkon)
Unter den obdachlosen Frauen sind zwei Syrerinnen. Das Schicksal einer älteren Libanesin, die unter den Obdachlosen ist, hat uns besonders berührt. Sie hat bei der Explosion ihr Gehör verloren.
Auch Frau Dr. Caroline Succar und die Psychologin
Mountha Chalaan sind anwesend. Denn an diesem Tag
sollen die Frauen auch ihre neuen „Betreuerinnen“
kennenlernen.
Der erste Jour fixe findet im Garten des Dar Assalam statt.


Am einundzwanzigsten Tag, Donnerstag, den 24.09.2020, besuchen wir erneut die „Libanesische Volkshilfe“, die unermüdlich arbeitet, wobei der Schwerpunkt auf der medizinischen Hilfe und der Versorgung der Betroffenen mit Lebensmittelpaketen und verschiedenen Sachspenden liegt. Es wird vereinbart, dass wir ihnen weitere 200 Pakete mit Hilfsgütern liefern. Auch an die Organisation "Kafa" sollen weitere 100 Pakete geliefert werden.
Am zweiundzwanzigsten Tag, Freitag, den 25.09.2020 organisieren wir unsere vorerst letzte Paketaktion für zwei Frauenorganisationen, zum einen die „RDFL“ (Libanesische demokratische Frauenvereinigung) und zum anderen „Fe-Male“. Beide Organisationen erhalten jeweils 200 Pakete mit Hygiene-Artikeln für Frauen.

Den dreiundzwanzigsten Tag, Samstag, den 26.09.2020 verwenden wir für die anfallende Verwaltungsnotwendigkeiten und die erste Auswertung unseres Einsatzes.
Wir sind froh, dass die obdachlosen Frauen nun wohl aufgehoben sind und regelmäßig durch die Mitarbeiterin Organisation "RDFL" Frau Maha Namour und den Sozialpädagogen Jibran Baalbaki auch jenseits des Jour fixe im Dar Assalam betreut werden.

Super gute Nachrichten... Nach einem Monat Koma aufgrund der Explosion in Beirut ist Frau Julia Aoude erst heute Morgen aufgewacht... Wir wünschen ihr eine superschnelle Genesung.
Issam Atta, hier vor den Trümmern seines Hauses, ist ein Überlebender der Explosion vom 4. August. Er war 18 Stunden unter den Trümmern seines Hauses im Stadtteil Gemmayze verschüttet, bevor er gerettet wurde. Sein Bruder kam bei der Explosion ums Leben. Nach 33 Tagen, beschloss Essam, über seinen Schmerz zu sprechen. Er gibt der Regierung die Schuld an seinem Schicksal.

Und zu guter letzt noch ein Foto vom 30.09.2020, an dem der 2. Jour fixe für die obdachlosen Frauen stattfand

Die Frauen erwarten Frau Dr. Succar und Frau Chalaan
an der Pforte des Dar Assalam
Teil II und III
Alle unserer Bemühungen wurden überschattet von der Covid-19-
Pandemie wie auch sonst fast alles Geschehen in der Welt.
2. Hilfsaktion
Hier nun der Bericht über die 2. Hilfsaktion vom 17. bis 30. Oktober von Latife Abdul Aziz
Ich fliege am 17.10. 2020 mit dem negativen Corona-Test in der Tasche in den Libanon. Eine erneute Testung am Flughafen Beirut ist nach geänderter Gesetzeslage im Libanon nicht mehr nötig.
Vor Ort erhalte ich bei einigen Unternehmungen Unterstützung des Sozialpädagogen Joubran Baalbaki, gebürtiger Libanese, Mitglied des Fördervereins Dar Assalam, der lange in Schweden im Bereich der Flüchtlingshilfe gearbeitet hat und nun zwischen Schweden und dem Libanon pendelt. Er kümmert sich auch um die obdachlosen Frauen im Dar Assalam.
Wir besuchen verschiedene Frauen-Organisationen, die wir mit Sachspenden unterstützt haben, um uns ein Bild der jetzigen Lage zu machen.
Momentan erteilt die libanesische Armee die Genehmigungen für den Wiederaufbau der durch die verheerende Explosion unbewohnbar gemachten oder gänzlich zerstörten Häuser. Sie stützt sich dabei auf Statistiken, die von verschiedenen NGOs erstellt wurden, über die Zerstörungen der Häuser sowie die betroffenen Personen bzw. Familien. Finanziert wird der Wiederaufbau eines Teils der zerstörten Häuser zurzeit durch Hilfsgelder aus dem Ausland.
Wir haben nach Rücksprache mit Pfarrer Uwe Weltzien und Pfarrer Siggi Pick beschlossen, dem Wunsch der RDFL (Libanesische Demokratische Frauenorganisation) nachzukommen, und jeweils ein Jahresgehalt von zweien der dort arbeitenden Sozialarbeiterinnen zu übernehmen. Bei einem Besuch der Organisation wird dies vertraglich festgehalten. Die Gehaltzahlungen laufen ab dem 01.11.2020 bis zum 31.10.2021.
Ich führe verschiedene Gespräche mit der Physiotherapeutin Dr. Gamal Ftouni und der Musiktherapeutin Susi Abi Samra, die zusammen eine Musiktherapie für betroffene Frauen anbieten werden. Es sind zunächst zwölf wöchentlich stattfindende Sitzungen geplant. Achtzehn Frauen haben sich bereits angemeldet, acht weitere stehen auf der Warteliste. Zusammen mit Susi Abi Samra sichte ich in der Begegnungsstätte Dar Assalam unseren Bestand an Musikinstrumenten, den wir dafür zur Verfügung stellen.

Wir legen fest, welche weiteren Instrumente fehlen und noch beschafft werden müssen (die vorhandenen Flöten dürfen wegen der Gefahr der Ansteckung mit Covid-19 nicht benutzt werden).
Mit Joubran Baalbaki und Zainab Aldaiqah (einer Lehrerin, die ehrenamtlich im Dar Assalam arbeitet) spreche ich über organisatorische Fragen der Stipendiumsvergabe. Diese sollen fünf mittellosen libanesischen und palästinensischen Studentinnen zu Gute kommen. Die Kosten dafür übernimmt die „Anne-Concari-Stiftung“.
Mit Vertreterinnen der Frauenorganisation „Fe-male“ spreche ich über die Rückmeldungen der Empfängerinnen unserer Sachspenden im September.
Gemäß deren Bedürfnissen wird eine neue Spendenaktion von insgesamt 100 Paketen zusammengestellt. Diese enthalten neben Hygiene- und Pflegeartikeln auch Putzmittel und warme Socken für den beginnenden Winter.

Auch mit Frau Dr. Caroline Succar (Psychologin) und der Psychologin Mountha Chalaan, die den Jour fixe für die obdachlosen Frauen im Dar Assalam leiten, treffe ich mich. Sie informieren mich über die Probleme der Frauen und ihre Entwicklung. Ich selber darf auch an zwei Jourfixe- Terminen teilnehmen.
Viele der Frauen leiden an Unsicherheit und teilweise sogar Angstzuständen, wenn sie auf die Straße gehen. Die Furcht vor einer erneuten Explosion sitzt tief. Trotzdem fahren sie oft nach Beirut und suchen, wenn möglich, in den Trümmern nach benutzbaren Dingen aus ihrem Hausstand. Sie sitzen oft neben ihren zerstörten Wohnungen oder Häusern und warten, ob ein Zuständiger der Armee kommt, der Ihnen die Genehmigung zum Wiederaufbau und Finanzierungshilfe anbietet. Am 30. Oktober fliege ich zurück nach Deutschland. Said und ich planen, für eine 3. Hilfsaktion Mitte Dezember erneut in den Libanon zu reisen
3. Hilfsaktion
Hier nun ein summarischer Bericht von Said Arnaout und seiner Frau Latife Abdul Aziz über ihren gemeinsamen Aufenthalt vom 20.12.2020 -06.01.2021 im Libanon und ihre Arbeit vor Ort, um die Opfer der verheerenden Explosion in Beirut in einer dritten Hilfsaktion zu unterstützen.
Was die momentane wirtschaftliche Situation stattfindet, so kann man sie wohl damit beschreiben, dass es eine Wirtschaft im landläufigen Sinne nicht „gibt“. Aufgrund des Staatsbankrotts werden gar keine oder nur minimale Gehälter gezahlt. Das Kreditwesen ist zusammengebrochen. Die Devisenkonten der Libanesen sind eingefroren. Auch der Zugang zu Konten, die auf libanesische Pfund laufen, ist stark reglementiert. Dazu kommen die Corona-Krise und die immer wieder verordneten Lockdowns, so dass es kaum noch Verdienstmöglichkeiten gibt, dies trifft besonders die Tagelöhner, Taxifahrer etc. Zahlreiche Geschäfte, Lokale etc. mussten mangels Einnahmen schließen. Noch nicht schlimm genug herrscht dazu auch eine galoppierende Inflation. Der Tauschhandel blüht. Eine nennenswerte Produktion von Gütern im Libanon findet kaum noch statt, wer sollte sie auch kaufen.
Das jetzige Kabinett unter Leitung des Ministerpräsidenten Hassan Diab
musste mangels parlamentarischer Unterstützung bereits Anfang August
2020 zurücktreten. Es leitet allerdings kommissarisch die diversen
Amtsgelegenheiten bis heute weiter, da der von der Mehrheit des
Parlaments vorgeschlagene Saad Hariri (libanesischer Ministerpräsident
von 2016-2019) keine Unterstützung vom libanesischen Präsidenten
erfährt. Hariri plant ein Kabinett allein mit Technokraten zu besetzen und
nicht wie bisher mit Vertretern der verschiedenen Parteien.
Was einen möglichen Wiederaufbau der von der Hafenexplosion zerstörten Häuser angeht, so rückt dieser in immer weitere Ferne. Experten schätzen die Kosten für den Wiederaufbau auf 4-7 Milliarden US$. Allein einige Wohnungen und Häuser, die nur geringen Schaden davongetragen haben und deren Instandsetzungskosten jeweils unter 15.000 $ lagen, wurden teilweise repariert. Manche konnten es selber zahlen, manche über Spender, andere haben sich bei Freunden und Verwandten verschuldet. Leider überschreiten Hilfen beim Wiederaufbau deutlich unseren finanziellen Spendenrahmen.
Nach unserer Ankunft in Deutschland wird angesichts steigender Corona-Zahlen und der Überlastung des Gesundheitswesens von der Regierung am 11.01.2021 ein harter Lock down verfügt (gilt vom 14.01.- 25.01.2021). Es gilt eine 24-stündige Ausgangssperre, alle Geschäfte incl. der Supermärkte müssen schließen, nur den Apotheken ist es erlaubt einige Stunden am Tag zu öffnen. Lebensmittel können nur über Supermärkte bezogen werden, die einen Lieferservice anbieten.
Inzwischen wurde der Lock down bis zum 08.02.21 verlängert.
Latife, Joubran Baalbaki und ich treffen uns mit Dr. Caroline Succar und der Psychologin Mountha Chalaan, die im Rahmen eines wöchentlichen Jour fixe obdachlose Frauen betreut und psychologisch unterstützt haben.
Der letzte Termin hat am 09.12.2020 stattgefunden, an dem ein kleines Abschiedsfest gefeiert wurde.

Frauen bei der Vorbereitung des „Festessens“

Abschiedsbild
Sie berichten uns von ihren Erfahrungen mit den betroffenen Frauen, die im Dar Assalam ein vorübergehendes Heim erhielten. Inzwischen sind diese alle nach Beirut zu Freunden oder Verwandten zurückgekehrt, um in der Nähe ihrer zerstörten Wohnungen zu sein. Dies in der Hoffnung so eventuell Einfluss auf einen möglichen Wiederaufbau nehmen.
Aufgrund der zahlreichen positiven Rückmeldungen der betreuten Frauen vereinbaren wir eine weitere Runde von 12 Jour fixe-Terminen, um weitere Betroffenen zu erreichen, sobald genügend Spendergelder zur Verfügung stehen. Durch den neuen harten Lock down wird sich der Beginn vermutlich verzögern.
Ein weiteres Treffen findet mit der Musiktherapeutin Susi Abi Samra und der Ärztin Dr. Gamal Ftouni statt. Diese bieten zusammen eine Musiktherapie für betroffene Frauen anbieten. Es sind 12 wöchentliche Sitzungen geplant. Wir sind selber überrascht über die reißende Nachfrage, die dieses Angebot findet. Da die Gruppengröße naturgemäß beschränkt ist (der Jour fixe ist für 18 Frauen eingerichtet), können wir mehr als 8 Frauen nur einen Platz auf der Warteliste anbieten. Der erste Termin findet am 26.12.2020 (im Libanon ist dies kein Feiertag) statt.


Um das Infektionsrisiko niedrig zu halten, werden 2 Gruppen gebildet, die jede für sich in einem ausreichenden großen Raum in der Begegnungsstätte „tagt“.
Leider kann der 3. Folgetermin am 09.01. aufgrund verschärfter Restriktionen der Regierung wegen der erhöhten Corona- Zahlen nicht stattfinden. Wann der nächste Termin stattfinden kann, ist aufgrund der Corona-Lage noch nicht klar.

Im Dar Assalam findet ein Treffen mit den Ratsmitgliedern von Wardaniyeh und den 5 Studentinnen statt, die für das Stipendium der Anne-Concari-Stiftung ausgewählt wurden. Mittels des Stipendiums sollen vier libanesischen jungen Frauen und einer jungen Frau palästinensischen Ursprungs ein vierjähriges Studium finanziert werden.
Gerade in dieser Zeit, in der zahlreiche gut ausgebildete Libanesinnen und Libanesen das Land verlassen, um anderswo eine bessere Zukunft zu finden, scheint uns diese ein sehr, sehr kleiner, aber wichtiger Beitrag für einen zukünftigen Aufbau des Landes.

Der Bürgermeister Hajj Ali Bayram würdigte die verschiedenen sozialen
Aktivitäten der Dar Assalam für das Land als auch für das Dorf
Wardaniyeh. Er überreichte dem Team des Hauses eine Ehrentafel.

Wir starten zahlreiche weitere Paketaktionen in Zusammenarbeit mit verschiedenen NGOs, die von der Hafenexplosion betroffene Frauen unterstützten:

- 200 Pakete mit Lebensmitteln gehen an das "Beit al-Baraka“, eine 2012 gegründeten NGO, die überkonfessionell benachteiligten Personen hilft.
- 150 Pakete mit Hygiene-Artikeln für Frauen gehen an „Fe-Male“. Fe-Male ist ein ziviles feministisches Kollektiv, das mit Frauen und Mädchen zusammenarbeitet, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Jeweils 100 Pakete mit Putz- und Pflegemitteln gehen an:
- die Organisation "RDFL" (Libanesische demokratische Frauenvereinigung), eine säkulare Nichtregierungsorganisation für Frauen, die sich der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen widmet
- "Secours Populaire Libanais“ (Libanesische
Volkshilfe), einer 1974 gegründeten NGO,
die im Bereich der nachhaltigen
menschlichen Entwicklung arbeitet
- die Organisation „FENASOL“, dem
Nationalem Verband für Arbeiter und
Angestellte im Libanon und zwar an die
Sektion für ausländische Arbeitnehmer.
Deren Lage, besonders die der
Hausbediensteten ist besonders hart, da
sie aufgrund der Krise von einem Tag zum anderen ihre
schlechtbezahlte Arbeit im Haushalt verloren und ihnen das Geld
für ein Rückflugticket fehlt. Viele ausländische Arbeitskräfte
lebten vor der Explosion im Hafenviertel, in dem es billige,
schlechte Wohnungen gab. Diese haben bisher von kaum einer
Seite Unterstützung erfahren.


Wir freuen uns, sowohl den Vertreter des „Rotary Club of Chouf“ Mounir Hamadeh als auch den Vertreter des „Rotary Act Chouf“ Eli Antoun im Dar Assalam empfangen zu können.

Wir stellen ihnen unsere Hilfsprojekte vor. Sie willigen ein, uns wöchentlich 60 Pakete mit Lebensmitteln gegen einen symbolischen Preis pro Paket zukommen zu lassen. Diese können wir dann an unsere Partner unter den NGOs bei der Unterstützung der weiblichen Opfer der Hafenexplosion weiterleiten.

Joubran Baalbaki wird die Verteilung in unserer Abwesenheit
organisieren.
Eli Antoun bietet ein Malwochenende für betroffene Kinder im Dar
Assalam an, sobald es die Corona-Lage erlaubt.
Teil IV
4. Hilfsaktion
Hier nun der Bericht über die 4. Hilfsaktion vom 30.03.-08.04.21 von Latife Abdul Aziz
Ich fliege am 29.03.2021 nach einem negativen Corona-Test in den Libanon. Inzwischen ist eine erneute Testung am Flughafen Beirut wieder verpflichtend.
Die Organisation unserer IV. Hilfsaktion wird durch die Covid-19- Pandemie sehr erschwert.
Auch dieses Mal werde ich bei meinen Bemühungen von dem Sozialpädagogen Joubran Baalbaki, gebürtiger Libanese, Kassenwart des Fördervereins Dar Assalam, unterstützt.
Der harte Lockdown wurde am 08.04.21 aufgehoben. Allerdings werden an den sich nun häufenden religiösen Festtagen der zahlreichen Konfessionen immer wieder einzelne Lockdowns für einige Tage verhängt. Der langandauernde Lockdown hat die drastische Misere für die libanesische Bevölkerung weiter verschärft. Die wenigen verbliebenen Möglichkeiten zum Geld verdienen, sei es als Taxifahrer, Händler oder Tagelöhner gibt es nun nicht mehr.
Wegen der verfügten Einschränkungen und der Corona-Pandemie finden die Gespräche mit den verschiedenen NGOs, mit denen wir zusammenarbeiten, telefonisch bzw. per Whatsapp statt. Wir ermitteln auf diese Weise auch den Bedarf für weitere Paketlieferungen.
![]() |
![]() |
Waren, die auf die einzelnen Pakete verteilt werden
Es gelingt uns, in den folgenden Tagen zwei weitere Paketlieferungen mit Hygiene-Artikeln auf den Weg zu bringen.
200 Pakete gehen an die Organisation "Beit al-Baraka“, eine 2012 gegründeten NGO, die überkonfessionell benachteiligten Personen hilft. Eine Aktion von ihr ist vergleichbar mit der deutschen „Tafel“.
![]() |
![]() |
Anlieferung der Pakete bei „Fenasol“
100 weitere Pakete an die Organisation „FENASOL“, dem Nationalem Verband für Arbeiter und Angestellte im Libanon und zwar an die Sektion für ausländische Arbeitnehmer. In der Regel sind die meisten jetzt arbeitslos – Hausangestellte etc. können sich nur noch sehr reiche Libanesen leisten. Dazu kommt, dass sie völlig auf sich allein gestellt sind, da sie nicht auf einen
Familienverband vor Ort zurückgreifen können, schließlich sind sie ja in die Fremde gezogen, um ihre Familien in ihren Heimatländern zu unterstützen. Geld für eine Rückkehr in ihr Heimatland fehlt ihnen. Viele schlafen vor ihrer jeweiligen Botschaft auf der Straße und hoffen auf Unterstützung von dieser für ihre Heimkehr. Einige hausen zu viert oder zehnt in irgendwelchen Unterkünften und versuchen sich als Tagelöhner über Wasser zu halten. Meist im Flüchtlingslager „Shatila“ in Beirut.

Ausländische Arbeitslose im Libanon, die ein Spendenpaket bei „Fenasol“ abholt
Was unser Projekt „Musiktherapie für betroffene Frauen“ angeht, welches aus 12 wöchentlichen Sitzungen besteht und am 26.12.20 begann, so müssen wir damit wegen des verhängten Lockdowns seit dem 09.01.21 pausieren. Natürlich würden wir diese gern so schnell als möglich fortführen, aber da auch nach dem 08.04. immer wieder für einige Tage Lockdowns angeordnet werden, wegen der Covid-19- Erkrankung einiger Teilnehmerinnen sowie des Beginns des Fastenmonats Ramadan ( 13. April bis 12. Mai – in dieser Zeit ist das öffentliche Leben in den muslimischen Gemeinden stark eingeschränkt) kann die nächste Sitzung erst im Mai stattfinden.
Auch mit der Musiktherapeutin Susi Abi Samra und der Ärztin Dr. Gamal Ftouni, die das Projekt leiten, sowie den teilnehmenden Frauen finden alle Kontakte diesmal telefonisch statt. Ähnliches gilt auch für unser Projekt, betroffenen Kindern ein Malwochenende unter Leitung von Eli Antoun im Dar Assalam anzubieten. Die Corona-Lage sowie der Ramadan machen dies zurzeit unmöglich. Ob es im Mai stattfinden kann, ist zur jetzigen Zeit nicht absehbar.
In den letzten Jahren konnten wir verschiedene Fortbildungsseminare für den „Umgang mit traumatisierten Menschen“ anbieten. Diese wurden durch Spenden für diesen Zweck finanziert. Die Seminare fanden unter der Leitung von Pfarrerin und Tanztherapeutin Friederike Weltzien, Traumatherapeutin Ruth Simon-Weidner und Prof. Dr. Eduard Badeen (Professor der Islamwissenschaften, Kenner der sozialen Strukturen in den palästinensischen Flüchtlingslagern und der Geschichte Palästinas) statt. Sie richteten sich vor allem an die Sozialarbeiterinnen in den palästinensischen Flüchtlingslagern, aber auch an Psychologinnen etc., die mit geflüchteten Frauen und Kinder arbeiten, unter ihnen waren Palästinenserinnen, Libanesinnen und Syrerinnen. Diese Fortbildungen fanden unter der Federführung der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg in Zusammenarbeit ihrem Dozenten Said Arnaout statt. Diese Seminare hatten durchschlagenden Erfolg und alle Teilnehmerinnen konnten ihre neues Wissen und ihre Erfahrung auch mit Kolleginnen teilen, die nicht an den Seminaren teilnehmen konnten.
Wegen der Covid-19-Pandemie konnte ein weiteres Supervisionsseminar im Herbst letzten Jahres nicht stattfinden. Wir freuen uns sehr, dass als Ersatz nun – Corona-gemäß – ein Webinar organisiert wurde, das per Zoom einmal im Monat stattfindet. In diesem Webinar sind alle Teilnehmerinnen der vergangenen Seminare angesprochen. Ziel der digitalen Supervision ist es die Teilnehmerinnen in dieser schwierigen Situation zu unterstützen und gemeinsam ihre Erfahrungen mit Hilfe der erlernten Herangehensweise zu durchdenken. Durchgeführt wird es von den Leiterinnen der Trauma-Seminare: Friederike Weltzien, Ruth Simon-Weidner.
Teil V
5. Hilfsaktion
Hier nun der Bericht über die 5. Hilfsaktion vom 22.05.-13.06.21 von Latife Abdul Aziz und Said Arnaout
Wir fliegen mit einem Nachtflug über Istanbul am 22.05.2021 nach einem negativen Corona-Test in den Libanon. Auch ein Corona-Test am Flughafen Beirut war wieder verpflichtend.
Die wirtschaftliche und humanitäre Situation im Libanon ist mehr als desolat. Wie schon in den vorangegangenen Berichten beschrieben, gibt es kaum noch Verdienstmöglichkeiten für die Menschen, die Versorgungslage mit lebensnotwendigen Dingen ist prekär, gleichzeitig treibt die Inflation des Libanesischen Pfund immer neue Blüten.
Ein paar Beispiele sollen das illustrieren:
- Benzin ist außerordentlich knapp, täglich bilden sich lange Schlangen vor den Tankstellen (Wartezeiten bis 2,5 h sind keine Seltenheit), um etwas Benzin zu ergattern. Es werden maximal 20 l Benzin verkauft, aber es ist nie sicher, ob überhaupt Benzin vorrätig ist.
- Es sind kaum noch Medikamente käuflich zu erwerben. Der Staat hat darüber hinaus zahlreiche Zuzahlungen zu medizinischen Behandlungen gestrichen, inzwischen werden nur noch die Kosten für Krebsoperationen und Dialyse übernommen.
- Es gibt keine Milch mehr für Kinder.
- Ein kleiner Geburtstagskuchen beim Bäcker kostet inzwischen soviel wie das Salär, das eine Lehrerin noch vor einem Jahr in einer Woche verdiente. Natürlich sind die Löhne und Gehälter in dieser Zeit nur unwesentlich gestiegen, wenn sie überhaupt noch gezahlt werden.
Für Besitzer von harten Devisen wie Dollar oder Euro sind die einheimischen Waren dagegen spottbillig. Die importierten Waren haben etwa die gleichen Preise wie hier und sind für Libanesen, die nur über das libanesischen Pfund verfügen, unerschwinglich. Dazu gehören so alltägliche Dinge wie z.B. Damenbinden, Waschmittel, Putzmittel etc.
Dieses Mal unterstützt uns eine Freundin aus der Schweiz, Sabine Schneitter, bei unserer Hilfsaktion. Wir treffen sie bei unserer Zwischenlandung in Istanbul.
Nach den libanesischen Vorschriften zur Eindämmung der Corona- Pandemie müssen wir uns zunächst 5 Tage in Quarantäne begeben.
So beobachten wir den 3. Teil der Musiktherapie für von der Hafenexplosion betroffenen Frauen, die wir aus Spendenmitteln finanzieren konnten (s. die vorherigen Berichte), nur von Ferne. Wir sind froh, dass das Seminar, welches aufgrund der hohen Inzidenz der Covid- 19- Infizierten zwangsweise pausieren musste, nun endlich fortgesetzt werden kann.
Am Sonntag, den 24.05., planen wir gemeinsam die verschiedenen Besuche bei Hilfsorganisationen und unsere Aktionen.
Montag, den 25.05. und Mittwoch, den 27.05. (der Dienstag ist ein gesetzlicher Feiertag, daher ist an diesem Tag niemand erreichbar) führen wir telefonische Gespräche mit verschiedenen Hilfsorganisationen, um uns über den jeweiligen Stand der Betroffenen, ihren Hilfsbedarf etc. zu informieren und Besuchstermine zu vereinbaren.
Am Donnerstag, den 28.05., nach Beendigung der Quarantäne fahren wir drei zusammen mit der libanesischen Lehrerin Zeinab Daiqah, die unsere Hilfsaktionen tatkräftig unterstützt, nach Beirut und besuchen dort folgende NGOs:
- „Kafa`a“ (`„Genug“ an Violence & Exploitation` ist eine feministische, säkulare, libanesische, gemeinnützige, nichtstaatliche zivilgesellschaftliche Organisation, die eine Gesellschaft schaffen will, die frei ist von Frauen diskriminierenden patriachalischen Strukturen – auch in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht.)
- ."KAFA" hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2005 zum Ziel gesetzt, alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und Ausbeutung zu beseitigen),
- „Fenasol“ (den Nationalem Verband für Arbeiter und Angestellte im
Libanon und zwar die Sektion für ausländische Arbeitnehmer)
- „Wardé Boutros“ (eine Frauenorganisation, die sich für die
Gleichberechtigung von Frauen
einsetzt und hilfsbedürftige Frauen
unterstützt). Ihre Arbeit wird bisher
ausschließlich von ehrenamtlichen
Mitgliedern geleistet.
Der Präsident der Nationalen Gewerkschaftsunion Castro Abdallah und die Führung der Nationalen Union empfingen am Donnerstagmittag eine Delegation des „Dar Assalam für Interkulturelle Begegnungen“ aus Wardaniyeh-Libanon.
Die Hilfsorganisationen geben uns einen Überblick über die momentane Situation. „Fenasol“ und „Wardé Boutros“ haben uns jeweils Listen mit den Namen der Betroffenen zusammengestellt. Wir entscheiden, dass diese selbst die Auswahl treffen, wer die Hilfe am dringendsten benötigt und an diese die Pakete weitergeben.
Die Gewerkschaft „Fenasol“ möchte gern Pakete mit Lebensmitteln. Wir stimmen dieser Bitte zu. Sie sollen u.a. Reis, Linsen, Hülsenfrüchte, Weizengrütze, Salz, Zucker, Öl enthalten. Auf Konserven haben wir verzichtet, weil viele mit gefälschtem Herstellungsdatum im Umlauf sind und wir den Betroffenen wahrlich keine verdorbenen Lebensmittel zukommen lassen möchten. Die anderen beiden Organisationen entscheiden sich für Putz- und Hygieneartikel.
Am Freitag, den 29.05., nach der Prüfung der Finanzen, planen wir den Inhalt der einzelnen Pakete und bestellen die verschiedenen Produkte beim Großhandel. Am Samstag, den 30.05. werden die Waren geliefert, auf Vollständigkeit überprüft und in Pakete gepackt. Unter anderem enthalten die Putz- und Hygieneartikel- Pakete: Waschpulver, Mückenschutz, Mittel gegen Kakerlaken, Kerzen (oft gibt es nur 3-4 h am Tag Strom), Zahnpasta, Zahnbürste, Seife, Shampoo, Duschgel, Babycreme, Damenbinden etc.

Am Montag, den 31.05., können 100 Pakete mit Lebensmitteln an „Kafa`a“ geliefert werden.


Vertreter der NGO Kafa`a, die die Hilfslieferung entgegennehmen
und je 100 Pakete mit Putz- und Hygieneartikeln an „Fenasol“ und „Wardé Boutros“. Letzterer können wir auch einige Kleider übergeben, die Sabine Schneitter aus Outlets in der Schweiz mitgebracht hat. Die Pakete sind im Nu verteilt und uns erreichen über die Hilfsorganisationen viele positive Rückmeldungen.

Ankunft der fünften Hilfsaktion des „Dar Assalam“ für die Verantwortlichen der NGO's: Mousawat „Wardé Boutros“ und des Nationalen Gewerkschafts- und Arbeitnehmerverbandes im Libanon
Von Dienstag bis Donnerstag vergeht die Zeit schnell mit immer wieder anfallenden Verwaltungsaufgaben etc. und etwas „Verschnaufen“.
Am Freitag, den 04.06.21 empfangen wir den Präsident der Nationalen Gewerkschaftsunion Castro Abdallah im Dar Assalam. Er schildert die große Bedürftigkeit der allermeisten Libanesen, vieles ist uns schon bekannt, anderes haben wir so nicht erahnt. Er bittet uns um Hilfe. Wir müssen ihm leider mitteilen, dass unsere bescheidenen Mittel nur für einen kleinen Kreis reichen und es unsere Zielsetzung ist, die betroffenen Frauen der Bombenexplosion ein wenig zu unterstützen. Wir sagen ihm allerdings weitere 100 Pakete mit Lebensmitteln und 100 Pakete mit Putz- und Hygieneartikeln zu.
Auch „Wardé Boutros“ haben wir weitere 200 Pakete zugesagt.
Am Samstag, den 05.06., werden die Waren geordert. Auch diesen Samstag findet wieder die Musiktherapie statt und wir können diesmal in einer persönlich mit den Leiterinnen Susi Abi Samra, Musiktherapeutin und der Ärztin Dr. Gamal Ftouni sowie den Teilnehmerinnen sprechen. Letztere haben sich immer wieder bei uns bedankt.


Außerdem empfangen wir die Vorsitzende des Vereins von „Wardé Boutros“ Marie Nassif-Debs und andere im Dar Assalam. Hier ihre mail an das Team des Dar Assalam
„… Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der Aktivistinnen des Vereins "Musawara - Warda Boutros for Women's Work" und insbesondere der Mitglieder seines Verwaltungsrates sprechen wir unseren Dank und unsere Anerkennung für den wichtigen humanitären Schritt in Richtung unseres Vereins aus. Ihre quantitativ und qualitativ wertvolle Hilfe hat zu einer leichten Linderung des Leidens von Zehntausenden libanesischer Frauen geführt, die keinen Ernährer haben oder sich in einem fortgeschrittenen Lebensstadium befinden... Beachten Sie, dass die wirtschaftlichen Ende 2019 ausgebrochene Krise und die anschließende Corona-Pandemie haben zu einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit unter berufstätigen Frauen und Arbeitnehmern geführt, die wie immer die ersten Opfer der Armuts-, Korruptions- und Diebstahlspolitik der Finanzoligarchie innerhalb und außerhalb der libanesischen Behörde. Wir halten Ihre Hände und hoffen, dass sich die Zusammenarbeit zwischen uns zum Wohle der gequälten Menschheit im Libanon und zum Aufbau einer Gesellschaft der Gerechtigkeit und Gleichheit entwickelt. Dr. Marie Nassif – Debs“
Am Sonntag, den 06.06. verabschieden wir Sabine, die uns so selbstverständlich geholfen hat. Am Montag, den 07.06. werden die bestellten Güter geliefert, kontrolliert und die Pakete gepackt.


Am Dienstag, den 08.06. bringt Said Arnaout die Pakete persönlich zu „Fenasol“ und „Wardé Boutros“. Es kamen viele ehrenamtliche Mitarbeiter von beiden Organisationen, um die Pakete direkt vom Lkw in andere Autos zu laden und zu den Bedürftigen zu bringen.

Wir haben beiden Organisationen zugesagt, dass falls noch weitere Spendengelder eingehen, wir diese bevorzugt behandeln, wenn es um weitere Paketlieferungen geht. „Wardé Boutros“ bittet uns um Unterstützung, um die Jahresmiete ihres Büros zu finanzieren als auch für die Bezahlung einer zukünftig anzustellenden Sozialpädagogin, alle anderen Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Wir können Ihnen nichts zusagen. Zum einen muss über die Vergabe der Spendengelder der Vorstand des Dar Assalam und Pfarrer Siggi Pick entscheiden, zum anderen müssen wir über diese Mittel aus Spenden erst einmal verfügen.

Am Mittwoch, den 09.06., besuchen wir die Nichtregierungsorganisation RDFL - „Libanesische demokratische Frauenvereinigung“ - , für die wir jeweils ein Jahresgehalt von zwei angestellten Sozialpädagoginnen übernommen haben, um ihnen die 2. Hälfte des Geldes auszuhändigen. Da die beiden Organisation „Baraka“ und „Fe-Male“ inzwischen über deutlich potentere Unterstützer aus dem Ausland verfügen, haben wir diese beiden NGOs dieses Mal nicht mit weiteren Paketlieferungen unterstützt.
Nach einigen Tagen mit unseren Familien fliegen wir Samstagnacht, den 12.06., wieder nach Deutschland zurück.
Wir freuen uns, dass für den November dieses Jahres ein weiteres Trauma-Seminar unter der Leitung von Pfarrerin und Tanztherapeutin Friederike Weltzien, Traumatherapeutin Ruth Simon-Weidner und Prof. Dr. Eduard Badeen (Professor der Islamwissenschaften, Kenner der sozialen Strukturen in den palästinensischen Flüchtlingslagern und der Geschichte Palästinas) vor Ort geplant ist. Die Spendengelder dafür aus einer anderen Spendenaktion liegen vor. Wir hoffen sehr, dass die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie dies auch erlaubt.
Teil VI
6. Hilfsaktion
Hier nun der Bericht über die 6. Hilfsaktion vom 23.12.21-11.01.22 von Latife Abdul Aziz und Said Arnaout
Wir fliegen mit einem Nachtflug über Istanbul am 23.12.2021 nach einem negativen Corona-Test in den Libanon. Auch ein Corona-Test am Flughafen Beirut ist wieder verpflichtend.
Auch diesmal sind wir wieder über die weitere Verschlechterung der sowieso schon miserablen finanziellen und sozialen Lage im Libanon erschrocken. Die Talsohle ist nicht erreicht und es geht den Einwohner noch elender als zuvor.
Zum einen schreitet die Inflation mit Meilenstiefeln weiter voran. Lag der Wechselkurs vor der Explosion im April 2020 noch bei 100 € : 168.000 LL (Libanesischen Pfund), so erhält man nun für 100 € : ca. 3.000.000 LL. Entsprechend steigen die Preise. Diesel und Benzin sind, wenn überhaupt verfügbar, kaum noch bezahlbar. Das spiegeln auch die Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel wider. Medikamente, die in der Regel immer importiert werden, sind Mangelware. Importprodukte und das reicht von Putzmitteln und Hygieneartikeln über Kindernahrung bis zu Reis und Speiseöl sind so teuer geworden, dass sie sich nur ganz Reiche überhaupt leisten können. Beispiel: Kosteten 3 Liter Speiseöl vor zwei Jahren noch ca. 10.000 LL, so liegt der Preis nun bei über 300.000 LL. Die Löhne, wenn jemand überhaupt noch eine Anstellung hat, sind nicht gestiegen.
Strom ist nur noch eine Stunde am Tag verfügbar. Da es daher keine geschlossene Kühlkette mehr gibt, können auch im Lande produzierte Milchprodukte und Fleisch quasi nicht mehr verkauft werden. Wem es möglich ist, der wandert aus, dass gilt natürlich vor allem für gutausgebildete Kräfte wie etwa Ärzte etc.
Die Tage im Libanon sind wie immer voller Arbeit.
Eine traurige Nachricht empfängt uns gleich am Anfang. Wir nehmen von einem Paten aus der Schweiz (Nadim Badeen) Geld in bar für die Behandlung seines kranken Patenkindes mit in den Libanon. Leider erliegt das Patenkind binnen Kurzem seiner Krankheit. Der Pate beschließt darauf, das Geld der trauernden Familie zu übergeben.
Ein freudiges Ereignis ist die diesjährige* Ernennung von zehn Stipendiatinnen durch die Anne-Concari-Stiftung. Unter ihnen sind vier Palästinenserinnen, alle aus dem Flüchtlingslager „Burj Schamali“ in der Nähe von Tyrus. Im Rahmen ihres Stipendiums werden ihre Ausbildungsgebühren, das Lehrmaterial und die Fahrtkosten für die Dauer ihrer Ausbildung (vierjähriges Studium bzw. dreijährige Lehre) von der Stiftung übernommen. Die Ernennung des Stipendiatinnen findet aufgrund der Corona-Pandemie in ganz kleinem Rahmen in Beisein des libanesischen Arbeitsministers Moustafa Bayram (er hat sich unter anderem für einige Verbesserungen für die palästinensischen Flüchtlinge eingesetzt) im Dar Assalam statt.


Im letzten Jahr waren es fünf Stipendiatinnen, eine von ihnen Palästinenserin.
Vor unserer Reise haben wir von Deutschland aus Kontakt mit den NGOs aufgenommen, mit denen wir zusammenarbeiten, um den momentanen Hilfsbedarf zu ermitteln. Auch der ehemalige Sozialarbeiter Joubran Baalbaki (Kassenwart des Dar Assalam) und Zeinab Diqa (Lehrerin und Mitglied des Vereins) haben vor Ort schon einiges in Erfahrung gebracht und organisiert. Da die Hilfsbedürftigkeit im Libanon aufgrund der beschriebenen katastrophalen ökonomischen Lage so groß ist, erreichen uns natürlich immer mehr Anfragen auf Unterstützung von vielen Seiten. Leider können wir wegen unserer beschränkten Geldmittel nur wenigen helfen. Unsere Hilfsaktionen beschränken sich weiterhin auf den Kreis der Frauen und Kinder, die von der Hafenexplosion betroffen sind.
Unsere Hilfeleistungen bei dieser Aktion bestehen aus drei Pfeilern:
- Lebensmittelpakete
- Pakete mit Hygiene-, Pflege- und Putzmitteln
- Lehrgang für Frauen, um einfache Instandsetzungsaufgaben zu erlernen

Unsere Partner vor Ort sind die NGOs:
- Secours Populaire Libanais“ (Libanesische Volkshilfe), einer 1974 gegründeten NGO, die im Bereich der nachhaltigen menschlichen Entwicklung arbeitet. Ihr Motto lautet „Gemeinsam für den Menschen“, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und Konfession
- "RDFL" (Libanesische demokratische Frauenvereinigung), eine säkulare Nichtregierungsorganisation für Frauen, die sich der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen widmet und sich darum bemüht den Status und die Teilhabe von Frauen zu fördern und sie zu stärken, um die volle Gleichstellung beider Geschlechter zu erreichen
- „Wardé Boutros“ (eine Frauenorganisation, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzt und hilfsbedürftige Frauen unterstützt). Ihre Arbeit wird bisher ausschließlich von ehrenamtlichen Mitgliedern geleistet
- „FENASOL“, der Nationale Verband für Arbeiter und Angestellte im Libanon und zwar deren ‚Sektion für ausländische Arbeitnehmer‘. Deren Lage, besonders die der Hausbediensteten ist überaus prekär, da sie aufgrund der Krise von einem Tag zum anderen ihre schlechtbezahlte Arbeit im Haushalt verloren haben und ihnen das Geld für ein Rückflugticket fehlt. Viele ausländische Arbeitskräfte lebten vor der Explosion im Hafenviertel, in dem es billige, schlechte Wohnungen gab. Diese haben bisher von kaum einer Seite Unterstützung erfahren.


Neu hinzugekommen ist:
„An-Nas lin-Nas“ – eine von Pater Abdo Raad gegründete Hilfsorganisation, die sich eigentlich um syrische Flüchtlinge kümmert, aber ihre Hilfe auf Betroffene der Hafenexplosion ausgeweitet hat. Wir übergeben „Secours Populaire Libanais“ und "RDFL" jeweils 100 Pakete, „Wardé Boutros“ und „FENASOL“ ebenfalls 200 Pakete und „An- Nas lin-Nas“ 104 Pakete.
Es gibt verschiedene Treffen mit Vertretern der Gewerkschaft „FENASOL“ in Beirut und auch im Dar Assalam. Sie sind sehr dankbar über unsere Unterstützung, da die Gewerkschaft über nur über sehr geringe Geldmittel verfügt und daher immer nur kleine Projekte anstoßen kann. Bei unseren Gesprächen lernen wir ein äußerst interessantes Projekt kennen, das nachhaltige Hilfe leistet.


FENASOL veranstaltet einen 2-3 wöchigen Lehrgang für über dreißig Frauen, in denen diese einfache handwerkliche Tätigkeiten aus den Aufgabenbereichen von „Maler“, „Elektriker“ und „Installateur“ lernen können. Dies soll sie dazu befähigen einfache Instandsetzungsarbeiten eigenständig zu erledigen. Es gibt viele Wohnungen, die aufgrund der Explosion zwar stark beschädigt, aber aufgrund der Statik noch bewohnbar sind. Da es natürlich kein Geld für Handwerker gibt, hat sich seit der Zeit der Explosion kaum etwas an ihrem Zustand verändert. Die Frauen sollen mit Hilfe des Lehrgangs die nötigen Kenntnisse für einfache Reparaturen erlangen.

Ca. 20 Teilnehmerinnen erklären sich bereit, praktische Erfahrungen zu sammeln, indem sie unter der Leitung von Fachkräften leichte Arbeiten bei der Instandsetzung der von der Hafenexplosion beschädigten Wohnungen übernehmen. Nach Rücksprache mit Pfarrer Siggi Pick und dem Vorstand des Dar Assalam beschließen wir, uns an den Lehrgangskosten für die Lehrer, das Werkzeug, die Verpflegung und die Fahrtkosten mit einer Summe von 12.000 $ zu beteiligen.
Mit den handwerklich Kenntnissen der Frauen allein ist es nicht getan.Denn ihnen fehlt natürlich auch das Geld, um die nötigen Materialien für Reparaturen zu beschaffen. Deshalb stellen wir nach Absprache mit dem Vorstand und Pfarrer Siggi Pick außerdem 6.000 $ für die Instandsetzung von drei Wohnungen durch Lehrgangsteilnehmerinnen zur Verfügung. Das Geld ist für das Baumaterial, die Verpflegung der Frauen und deren Fahrtkosten notwendig. Gern würden wir in einer weiteren Hilfsaktion weitere 6.000 $ für drei weitere Wohnungen zur Verfügung stellen.


Es ist uns eine große Freude, dass einige Vertreter von „Fenasol“ uns im Dar Assalam besuchen und uns als Dank für die Unterstützung ihrer Arbeit eine Plakette überreichen.

Seit Oktober 2020 Jahres erteilt die libanesische Armee die Genehmigungen für den Wiederaufbau bzw. die Instandsetzung der durch die verheerende Explosion gänzlich zerstörten oder unbewohnbar gemachten Wohnungen und Häuser. Sie stützt sich dabei auf Statistiken, die von verschiedenen NGOs über die Zerstörungen der Häuser erstellt wurden, sowie auf Auskünfte, die von den betroffenen Personen bzw. Familien erteilt wurden. Die Finanzierung erfolgt durch NGOs.
Bei der Auswahl und Besichtigung der Wohnungen unterstützt uns auch Joubran Baalbaki vor Ort.
Es gibt auch Gespräche mit Vertretern von „Wardé Boutros“. Diese arbeiten nur mit ehrenamtlichen Mitarbeitern und verfügen über kein eigenes Büro. Wir hatten im letzten Jahr in Aussicht gestellt, dass wir, gegebenenfalls sie finden ein passendes Büro, einmalig eine Jahresmiete übernehmen würden, wenn diese nicht mehr als 3.000 € umfasst. Doch die Lage auf dem Mietsektor ist erschreckend, nicht nur wegen den Folgen der Bombenexplosion. Viele Vermieter lassen ihre Wohnung bzw. Büros lieber leer stehen, als sie gegen eine monatliche Zahlung von Libanesischen Lira, deren Wert von Tag zu Tag sinkt, zu vermieten. Aus diesem Grund ist der Traum von einem eigenen Büro immer noch in weiter Ferne.
Im Rahmen unserer Gespräche mit Vertretern von „Secours Populaire Libanais“ besuchen wir auch ihr Krankenhaus in Nabatiyeh im Südlibanon, das einen Teil ihrer medizinischen Hilfe darstellt. Dort werden wir händeringend um Dialyse- Geräte gebeten. Die Kosten für ein Gerät belaufen sich auf ca. 8.000 €.

Leider haben wir selbst keine Möglichkeit, so ein Gerät zu finanzieren. Wir versprechen allerdings ihre Bitte unter unseren Freunden, vor allem aus dem medizinischen Bereich, bekannt zu machen.
Wir freuen uns, dass das für den November letzten Jahres geplante Trauma-Seminar unter der Leitung von Pfarrerin und Tanztherapeutin Friederike Weltzien, Traumatherapeutin Ruth Simon-Weidner und Prof.
Dr. Eduard Badeen (Professor der Islamwissenschaften, Kenner der sozialen Strukturen in den palästinensischen Flüchtlingslagern und der Geschichte Palästinas), das wegen der pandemischen Lage nicht stattfinden konnte, nun im Frühjahr dieses Jahres stattfinden soll. Die Spendengelder dafür aus einer anderen Spendenaktion liegen vor. Wir hoffen sehr, dass die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie dies auch erlaubt.
Wir - Uwe Weltzien (1. Vorsitzender des Vereins Dar Assalam bis 31.12.2020), Dr. Edward Badeen (1. Vorsitzender des Vereins Dar Assalam ab 01.01.2021) Joubran Baalbaki (Kassenwart des Dar Assalam) Said Arnaout, Latife Abdul Aziz und das übrige Team des Dar Assalam - möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Spendern bedanken, die diese Hilfe möglich gemacht haben. Wir freuen uns sehr, dass auch im Winter noch sehr viele Spenden eingegangen sind bzw. eingehen. Auch der Dank der Betroffenen, die wir persönlich kennengelernt haben, geht an Sie.
Der Rotary-Club Friedrichshafen wird uns die Hälfte seiner Weihnachts- “einnahmen“ in Höhe von 11.000 € spenden. Sie möchten damit die Instandsetzungslehrgänge für Frauen unterstützen. Daher möchten wir an Ostern für eine VII. Hilfsaktion in den Libanon fliegen und hoffen, dass weitere Spenden uns auch wieder ermöglichen, weitere Pakete mit Lebens- und Hygieneartikeln an die Betroffenen zu übergeben.
An dieser Stelle möchten wir auch ganz herzlich „Netzwerk am Turm e.V.“ für seine umfangreiche Unterstützung danken. Da wir hoffen, dass wir nun bald "Frieden und kultureller Austausch – Libanon e.V." in Deutschland gründen können, würden wir euch die Kontonummer des dann gültigen Spendenkontos in Kürze bekanntgegeben.
Für eine IV. Hilfsaktion werden wir vermutlich an Ostern in den Libanon
reisen. Wir wären für weitere Spenden daher sehr dankbar:
Netzwerk am Turm e.V.
IBAN: DE58 5609 0000 0006 5347 16
BIC: GENODE51KRE (Volksbank RNH eG)
Verwendungszweck: „Dar Assalam Libanon: Nothilfe Beirut“
Bitte teilt bei einer Spende dem Verein die vollständige Adresse mit,
damit Spendenbescheinigungen ausgestellt werden können.
Tausend Dank
Herzliche Grüße
Latife Abdul Aziz und Said Arnaout
Bericht zum Fortbildungsseminar
"Fortbildung für libanesische und palästinensische Erzieherinnen,
Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen im Umgang mit traumatisierten
Menschen im Libanon_3.Modul
Thema: „Begegnung mit dem Trauma“
vom 6.11.2018 bis 14.11. 2018
Projektträger: Dar Assalam (Libanesische NGO), Wardaniyéh-Schoufberg, Iqlim al-Kharoub, Lebanon
Im 3. Block der o.g. Fortbildung steht das Thema „Begegnung mit dem Trauma“ im Vordergrund.
Da im letzten Modul die Beziehung im Mittelpunkt stand, als Basis für eine Verarbeitung von traumatischem Erleben, liegt in diesem Block die Konzentration auf dem Umgang mit traumatypischen Gefühlen:
Schwerpunktmäßig wollen wir bearbeiten:
Warum Gefühle Beachtung brauchen:
- Die Einordnung und die Grammatik der Gefühle
- Umgang mit ungeliebten Gefühle wie Schuld, Scham und Trauer
- Die 5 Trauerphasen nach V. Kast
- „Aus Zerbrochenem Gold machen“ - eine kreativ-therapeutische Arbeit
- Methoden zur Trauma-Begegnung
- Wiederholung der Theorie mit vertiefenden Aspekten `
In der ersten Phase dieses Blocks wird der Selbsterfahrung mehr Zeit eingeräumt. Wir arbeiten mit kreativ-therapeutischen Methoden. Alle Übungen werden theoretisch aufgearbeitet, so dass Theorie und Praxis einander ergänzen. In der zweiten Phase werden einige der ehemaligen Teilnehmerinnen zur Supervision dazu kommen.
Wir wollen die Vernetzung unter den Teilnehmerinnen weiterhin unterstützen und die Möglichkeiten der Intervision fördern.
Das Team reist diesmal knapp vor Anfang des Seminars an. Dr. E. Badeen kann erst in der Nacht zum Dienstag kommen, Frau F. Weltzien und Frau Simon-Weidner sind am Montagabend angereist.
Ein Handout, übersetzt ins Arabische, mit allen wichtigen Informationen und theoretischen Hintergründen der anstehenden Themen ist für alle Teilnehmerinnen vorbereitet.
Dienstagabend, 06.11.18: Einstieg und Programmvorstellung
Im 3. Modul sind 17 Teilnehmerinnen angemeldet. Mit den Teilnehmerinnen des alten Seminars
nehmen an manchen Tagen bis zu 23 Frauen teil.
Am ersten Abend können jedoch noch nicht alle Angemeldeten anwesend sein.
Es ist schon am ersten Abend spürbar, dass die Disziplin und die Konzentration sich geändert hat: Die Frauen sind pünktlich, haben Fragen, sind wach und in bester Stimmung. Obwohl sich an den schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen wenig geändert hat, ist eine aufmerksame Arbeitshaltung zu bemerken. Anstatt einer großen Erschöpfung und Bedürftigkeit sehen wir wache und interessierte Teilnehmerinnen vor uns, eine gute Voraussetzung zum Lernen und Verstehen. Auch die Vertrautheit der Gruppe und das gewachsene Verständnis für Trauma mögen dazu beitragen, dass die Frauen recht stabil da sind.
Diesmal legen wir zum Einstieg Karten mit zum Teil abstrakten Engelsmotiven aus. Die Motive sind unterschiedlich, jede Frau sucht sich eine Karte und kann anschließend ein wenig berichten bzw. erzählen, wie es ihr geht.

Gefühlen wie Trauer und Schuld. Engelsgestalten öffnen interreligiöse Wege in spirituelle Räume. Der Engel kann eine suchende Orientierung geben und Hoffnung fördern.

Die Auswahl an ausgelegte Karten
Einige Aussagen zu den Engelskarten: „Ich sehe mich selber, wie ich die Kraft nach oben abgebe.“ „Es gibt einen Wirbel von Problemen, in dem Bild erkenne ich den Wirbel und wie ausgepowert ich bin.“ „Die Engel bringen die gute Botschaft, ich hoffe auch hier so etwas wie eine gute Botschaft zu erhalten.“
„Das Bild passt jetzt, wegen des Lichts. Es geht mir besser als letztes Mal, ich brauche das Licht, es
gibt soviel Dunkelheit!“
„Das Licht auf der Karte entspricht einer Tiefe, der ich hier mit einigen der teilnehmerinnen auch so
erlebe.“
Die subjektive Wahrnehmung und die freie Assoziation gibt Raum etwas Persönliches mit den anderen Teilnehmerinnen zu teilen. Die großen Unterschiede in der Wahrnehmung machen gut deutlich, wie die emotionale Verfassung der Teilnehmerinnen ist. Wir hören von Gefühlen wie Sehnsucht oder Bedrohung, Verlust oder Hoffnung.

Der stille Ort
Mit den Engelskarten, einer Kerze und Blumen wird im großen Raum ein Ort eingerichtet, der auf die spirituellen Bedürfnisse hinweist und an dem persönliche Anliegen, mögliche Gebete oder Ähnliches abgelegt werden können.
Mittwoch, der 07.11.18: Trauma und Gefühle
Am Morgen sind nun 19 Frauen anwesend, wir starten gemeinsam mit einer Bewegungseinheit in den Tag. Diese ist daran ausgerichtet einander in Bewegung wahrzunehmen und zu begrüßen. Anschließend folgt eine große Runde um voneinander zu erfahren, wie die momentane Arbeitssituation ist und was sich nach dem letzten Seminar geändert hat.

Teilnahme an der freiwillige Bewegungsmeditation am Morgen
Am Morgen findet auch die erste Wiederholung statt:
- Die Funktion des autonomen Nervensystems
- Die Definition von Trauma
- Der Unterschied zwischen Mono- und Entwicklungstrauma
- Das Flussmodell nach Peter Levine
Es werden Fragen gestellt und beantwortet, es entsteht ein reger Austausch über Verstandenes und zu den daraus neu erwachsenden Fragen.
Nach der Kaffeepause steigen wir ein in den Aufbau eines Gefühlssterns nach Dr. Udo Baer: Gefühle sind für Traumatisierte häufig schwer oder gar nicht zugänglich, sie sind tabu, oder sie tendieren dazu, große Angst zu machen. Häufig ist es nicht einfach, die verdrängten oder aufkeimenden Gefühle zu benennen und zu besprechen. In unserer Arbeit halten wir es für besonders sinnvoll, mit den Gefühlen kreativ-therapeutisch umzugehen anstatt rein theoretisch.
Nach einem tänzerischen Einstieg, bei dem die Musik unterschiedliche Rhythmen und Dynamiken und Stimmungen anbietet, werden die Teilnehmerinnen aufgefordert, eine persönliche Sammlung unterschiedlicher Gefühle anzulegen. Nach jeder Musikserie mit einer bestimmten Qualität (z.B.: kraftvoll-wild oder kindlich-heiter) notieren die Teilnehmerinnen ihre aufkommenden Gefühle. Anschließend sondieren die Teilnehmerinnen aus der entstandenen Liste drei Gefühle, mit denen sie sich am ehesten identifizieren können. Wir bitten sie, ein viertes Gefühl hinzuzunehmen. Das Gefühl von Scham und/oder Schuld soll in die Liste aufgenommen werden. Die Aufgabe ist nun, zu diesen vier Gefühlen die gegensätzlichen Gefühle zu suchen und zu notieren. Dabei sind wir nicht interessiert an allgemein gültigen Polaritäten, sondern es geht darum, nur die „eigenen“ Gefühlspaare zusammen zu stellen.
Durch das Suchen gegensätzlicher Gefühlspaare wird das individuelle Erleben sichtbar. „Gefühle sind weder Beschreibungen anderer Menschen noch Vermutungen noch körperliche Empfindungen. Gefühle sind das, was die Menschen innerlich bewegt.“ (nach Dr. U. Baer). Auf einem großen Blatt Papier werden nun die vier Gefühlspaare sternförmig gestaltet. Sie bekommen eine Farbe und eine Zuordnung (Welche Gefühle stehen nah beisammen oder nebeneinander?).
Fragestellungen wie:
- Wie ist die Paarung?
- Wie ist die Anordnung jetzt?
- Was fehlt?
- Was willst du vervollständigen / ergänzen?
und der Austausch mit einer Partnerin ermöglichen das bessere Verstehen der eigenen kreativen Arbeit.

Das Zusammenstellen der Gefühlspaare und die erste Phase der Gestaltung

Die Arbeit am Gefühlsstern ist eine Ausdrucksform, die den Gefühlsreichtum, die Vielfalt, die Wertungen und Gewichtungen von Gefühlen deutlich macht. Sie ist gestalterisch ansprechend und ist im Entstehungsprozess sowie auch in der Weiterarbeit therapeutisch gut nutzbar. Erfahrungen mit dem Gefühlsstern:
- Die Gefahr, sich in den Gefühlen zu verlieren, wird durch die Perspektivwechsel reduziert.
- Die einzelnen Gefühle können auseinander gehalten werden, sie scheinen wie abgeschnitten voneinander zu sein, dies ist nun gut sichtbar geworden.
- Der Widerstand, sich mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, „nicht ran wollen“, wird abgebaut.
- Die Gefühle können überschwemmen, hier bekommen sie eine Grenze. Als Klientin ist es hilfreich, die Gefühle einzugrenzen.
- Gefühle sind miteinander verstrickt. Es ist ein großer Schritt, ihnen einzeln einen Platz zu geben.
- Das Gegenteil zu sehen, hilft zu erleben, dass Gefühle sich ändern.
- Die Frage taucht auf, wie der Wechsel vom einen ins gegenteilige Gefühl geschieht?
- Gefühle ändern sich, wenn darüber gesprochen wird.
- Die Selbstwirksamkeit wird geschult, die Möglichkeit Einfluss auf die Gefühle zu nehmen, nimmt zu.
Für traumatisierte Menschen ist es besonders heikel, Gefühle zu thematisieren. Die Gefahr der Überschwemmung und Angst vor einem erneuten Kontrollverlust ist recht groß. Ein solcher Zustand sollte unbedingt vermieden werden. Die Gefahr einer Re-Traumatisierung wäre sonst deutlich erhöht. Die Arbeit am Gefühlsstern hilft die Kontrolle in der Hand zu behalten.
Der Austausch zu diesen Erfahrungen in der großen Runde geht bis in den Nachmittag hinein.
Der Nachmittag wird abgerundet mit einem theoretischen Teil:
„Grammatik der Gefühle" nach Dr. Udo Baer.
Die ersten 6 Regeln werden durchgenommen. Die Unterlagen sind übersetzt im Hand-out beigefügt.
- Gefühle sind maßlos
- Gefühle brauchen keinen Grund, allenfalls Anlässe
- Gefühle haben mehrdimensionale Wirkungen
- Gefühle verschwinden aus der Wahrnehmung - und bleiben doch
- Gefühle lassen sich umtauschen
- Gefühle sind oft paradox
Am Abend findet die erste Dardasche statt.

Der Gesprächskreis unter Leitung von Prof. Dr. Edward Badeen ist ein fester Bestandteil des Seminars und bietet die Möglichkeit der Reflexion des eigenen Erlebens. Durch die Beiträge von Prof. Dr. E. Badeen werden die gesellschaftlichen Zusammenhänge beleuchtet, sowohl kulturell und geschichtlich als auch politisch. Heute werden die Gefühle wie Schuld und „übernommene Schuld“ thematisiert.
Donnerstag, der 8.11. 2018: Umgang mit den ungeliebten Gefühlen wie Schuld und Scham
Am Morgen findet wieder eine Wiederholung der Theorie statt: Das drei-einige Gehirn wird zuerst
tänzerisch erlebbar, anschließend am Flipchart nochmals durchgenommen.
Das drei-einige Gehirn unterteilt die Reaktionen auf große Belastungen unterschiedlich.
Die autonomen Reaktionen wie Flucht, Kampf oder Erstarrung, die Fähigkeit in Beziehung zu treten
und die Fähigkeit der Selbstregulation und Reflexion sind den verschiedenen Gehirnstrukturen
zuzuordnen.
Auch wird die Bedeutung der Präsenz im „Hier und Jetzt“ wiederholt. Traumatisierte Menschen
bleiben gerne im „Dort und Damals“ stecken, eine therapeutische Begleitung hat immer die Aufgabe
im „Hier und Jetzt“ anzuknüpfen.
Die Theorie und die Methode der verschiedenen „Time-Lines“ werden nochmals aufgeführt.

Das Drei-einige Gehirn mit seinen anatomischen Abschnitten und der Time- Line

Durch die Fragestellung bekommt die Leitung sehr gut mit, was bis jetzt verstanden worden ist und inwiefern das Verstandene in die Arbeit integriert werden kann. Wir wollen den Frauen die Gelegenheit geben, auch ihre ganz persönlichen Erfahrungen im Sinn von „Learning by doing“ zu verarbeiten.
Da die Fragen bezüglich der Arbeit mit der Methode von „Time-Lines“ vielfältig sind, beschließen wir eine Einzelarbeit mit einer Teilnehmerin anzubieten. Es meldet sich eine Teilnehmerin, die von der Explosion einer Autobombe unmittelbar betroffen war. Sie wurde verletzt und konnte sich, auf Grund des Schocks sprachlos geworden, damals nicht um ihre Verletzungen kümmern. Die eingefrorene Wut konnte aufgespürt werden und schlussendlich zu einer Handlung im „Hier und Jetzt“ geführt werden. Die versagende Stimme bleibt für die Teilnehmerin im Verlauf der Fortbildung ein Thema, sie bekommt immer mehr Klang und Farbe.
Am Nachmittag wird noch einmal die Theorie bezüglich der „Time-Line“ aufgegriffen. Die Frauen arbeiten anschließend in Zweiergruppen. Sie sollen dort eine „kleine Geschichte“ die schon vorbei ist, mit Hilfe der „Time-line“ nochmals anschauen.

Auf unterschiedliche Weisen wird die Time-Line wiederholt

Wir bieten im Anschluss drei Erlebnis-Räume an, in denen das neu verhandelte Körpergefühl ausprobiert bzw. „verankert“ werden kann:
- Raum 1 für Containment (Übung aus dem letzten Seminar)
- Raum 2 für Unterstützung (Rückenunterstützung)
- Raum 3 für ein Gefühl (Festgefrorene Gefühle wie Wut oder Schuld/Scham bekommen hier einem Raum)
Die Wut als Gefühl war schon bei einigen Frauen im Gefühlsstern aufgetaucht, war aber so negativ belegt, dass sie möglichst gehemmt werden musste. Durch die Einzelarbeit bekommt nun die Wut einen positiveren Charakter. Die positive Wut bedeutet einen spürbaren Kraftzuwachs, das kann nach der Arbeit deutlich erkannt und erlebt werden.
Dardasche am späten Nachmittag:
Im Gesprächskreis werden die Bewältigungsstrategien von Trauer oder auch Freude besprochen. Die
unterschiedlichen Rituale bei Beerdigungen und Hochzeiten werden angeregt ausgetauscht,
verglichen, erklärt und teilweise demonstriert.
Freitag, 09.11.2018: Bewältigungsstrategien von Trauer
Dies ist der letzte Tag, an dem die persönlichen Themen angesprochen werden können, denn am
nächsten Tag werden die Ehemaligen dazu kommen und ab Sonntag werden wir die professionelle
Ebene einnehmen und uns den Fallbesprechungen widmen.
Besondere Aufmerksamkeit bekommt an diesem Tag der kleine Altar, den wir seit Anfang des Seminars als Würdigungs-Ecke eingerichtet haben. Jede Teilnehmerin kann dort zur Verarbeitung der verschiedenen Gefühle Symbole, Erkenntnisse, Fotos usw. hinlegen.
Wir starten den Tag mit einer Bewegungseinheit mit Fokus auf die Zusammenhänge zwischen dem Ausdruck einer inneren Haltung und den dazu gehörigen Bewegungen:
- „Ich stehe für mich ein.“
- „Hier bin ich.“
- „„Mein persönlicher Raum“
Tänze mit Themen wie Abgrenzung, Aufrichtung, stabiler Bodenkontakt und Auseinandersetzung
werden ausprobiert.
Anschließend folgt eine kurze Runde, inwiefern es noch „Reste“ oder Fragen zum gestrigen Tag gibt.
Einige Frauen können nun eindeutiger ihre Gefühle identifizieren. Auch das Gefühl des „Verärgert
seins“ kann jetzt ohne Hemmnis erkannt und erwähnt werden.
In dem anfangs verteilten Hand-Out sind die Trauerphasen von Verena Fast beschrieben worden.
Diese werden nun in der großen Runde am Vormittag durchgesprochen. Um sich selbst in der
eigenen Trauer oder um andere trauernde Menschen besser verstehen zu können, ist es gut,
Grundsätzliches über die Trauer und ihre Phasen zu kennen. Das Modell der 4 Trauerphasen wurde
von der Schweizer Psychologin Verena Kast entwickelt und gilt als eine der wichtigsten Grundlagen
für das Verständnis von Trauerprozessen.
Noch am Ende des Vormittags folgt die Dardasche zum Thema Trauerrituale.
Die Sterbebegleitung und Rituale in Deutschland und im Libanon unterscheiden sich erheblich. Im
Libanon vermeidet man es, einem Kranken die Wahrheit zu sagen, der nahende Tod wird dem
Sterbenden verschwiegen. Eine Selbsthilfegruppe für schwer kranke Menschen war niemandem
bekannt. Die Möglichkeit, dass Karzinom-Erkrankte sich treffen und austauschen ist eine völlig neue
Idee für die Teilnehmerinnen.
Große Unterschiede gibt es ebenfalls bei den Trauerritualen. Im Libanon wird die Trauer sehr
expressiv zum Ausdruck gebracht. Die Beerdigungen finden sehr bald nach Eintreten des Todes statt.
Oft sind es nur die Männer, die zum Friedhof gehen. Die Frauen bleiben
in den Häusern. Danach finden Kondolenzrituale statt, je nach Religion und gesellschaftlicher Schicht
unterschiedlich lang und streng. Es wird lautstark geklagt und geweint (Klageweiber). Männer und
Frauen sitzen meistens getrennt und empfangen Beileidsbezeugungen.


Erleben und Begegnung in den verschiedenen Bedeutungs-Räumen
Am Nachmittag unterstützen wir die Frauen in einem therapeutischen Trauerritual: Wir nutzen
wieder die Methode des Verraumens, die den Frauen inzwischen sehr vertraut ist. Wir gestalten vier
Räume, für jede Phase einen Raum, sodass die Teilnehmerinnen ausprobieren können wie die
Erinnerungen in welchem der Räume für sie erfahrbar sind.
Zur Integration und zum Abschluss der persönlichen Phase der erste drei Tage bitten wir die Frauen,
zu ihrem Gefühlsstern zurückzukehren.
- Was hat sich geändert nach dieser Zeit?
- Was fällt auf?
- Was fehlt oder ist überflüssig geworden?
Die Teilnehmerinnen bekommen Zeit, ihren Stern auf dem Papier zu ändern. Dies heißt, dass die Gestaltung auseinandergeschnitten und anschließend neu zusammengestellt wird. Dieser Arbeit ermöglicht die Veränderung im Umgang mit den Gefühlen ganz konkret sichtbar zu machen. Waren vorher nur ein, zwei Gefühle sehr bedeutungsvoll und vordergründig, werden nun manche Flächen verkleinert, mit zusätzlichen Farben versehen oder bekommen eine neue Anordnung. Auch tauchen neue Gefühle auf. Das Erleben und das neue Verständnis im Umgang mit den eigenen Gefühlen können sichtbar werden.





Das Verändern und Betrachten sowie die Entwicklung der Gefühlssterne
Am Abend bieten wir den Teilnehmerinnen eine kreativ-therapeutische Arbeit an:
„Aus Zerbrochenem Gold machen.“
In einer vereinfachter Form bieten wir den Frauen die Kintsugi-Methode (aus dem Japanischen für
Goldverbindung/Gold flicken) an. Das ist eine traditionelle japanische Reparaturmethode für
Keramik. Hierbei werden bei einer zu Bruch gegangenen Schale aus Keramik- oder Porzellan die
Scherben sehr dekorativ repariert.
Die Einfachheit und die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit stehen im Zentrum dieser Anschauung,
diesmal ist es eine Goldverbindung, die den Makel hervorhebt. So können „Narben“ zu etwas
Wertvollem werden. Wir haben einfache weiße Porzellanschalen mitgebracht, welche erst
zerschlagen müssen. Dieser Vorgang wird mit anfänglicher Scheu dann doch von allen Frauen gerne
angenommen. Kraft aufzuwenden und etwas dabei kaputt zu machen, ohne sich oder andere zu
verletzen, ist eine ungewöhnliche Erfahrung.



Anschließend werden die Scherben wieder zusammen gesetzt mittels Klebstoff und Goldlack. Einige Frauen zeigen eine enorme Beharrlichkeit, andere kümmern sich ununterbrochen um die anderen, wieder andere Frauen schenken der kaputten Schale kaum Beachtung. Sehr individuell gestaltete Schalen entstehen und die Freude wächst.
Samstag, 10. November 2018: Der Ausflug nach Tyros
Das südlich gelegene Tyros ist eine Küstenstadt mit ca. 120.000 Einwohnern.
In der Antike gehörte Tyros, auf einer kleinen Insel gelegen, zu den wichtigsten Städten der
Phönizier. Heute sind vor allem Ruinen aus der Römerzeit erhalten, dazu gehören Reste eines
eindrucksvollen Hippodroms und die Nekropole vor den Toren der alten Stadt. Die Ruinen wurden
1984 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Tyros wurde von Israel im Rahmen ihrer kriegerischen Operationen gegen den Libanon seit 1978
mehrfach Ziel von Bombardements, bei denen ca. 50% der Häuser zerstört wurden.
Mehrere palästinensische Flüchtlingslager (Al-Bass, Ar-Raschidiva und Burj al-Shemali), die Ende der
1940er Jahre gegründet wurden, liegen in der Nähe der Stadt.
Es war der Wunsch der Teilnehmerinnen, Tyros zu besuchen. Einige Frauen waren noch nie so weit in
den Süden des Libanon gereist. Daher war es für sie ein umso nachdrücklicheres Erlebnis, diese
kulturträchtige Stadt besuchen zu können. Dies ist durchaus bemerkenswert, da der Libanon halb so
groß ist wie Hessen und damit die Entfernungen doch recht übersichtlich sind. Das Reisen ist auch für
die Libanesen keine Selbstverständlichkeit.
Nach einer anderthalb stündigen Busfahrt, die wieder begleitet wird von ausgelassenem Spontan-Gesang und Trommelspiel, be-sichtigen wir erst die Ausgrabungen der phönizischen Königsgräber. Nach einem kleinen Spaziergang durch die Altstadt, statten wir der alten katholischen Kirche des „Heiligen Thomas“ einen Besuch ab. Manche Frauen waren noch nie in einer katholischen Kirche.

Der Nachmittag ist zur freien Verfügung und um 17.00 Uhr treffen wir uns auf dem Boulevard von Tyros, um gemeinsam die Rückreise anzutreten. Dank What‘s App ist die Organisation des Ausflugs sehr unproblematisch und die vielen Selfies zeugen von einem beeindruckenden Tag mit viele Motiven.






Sonntag, 11. November 2018: Supervision
Am Sonntag hat sich die Zusammenstellung der Gruppe geändert, einige ehemalige Teilnehmerinnen
der vorherigen Fortbildungsreihe sind dazu gekommen. Zwei Frauen aus der aktuellen Gruppe
können an den Supervisionstagen, die nun folgen, aus privat-organisatorischen Gründen nicht
teilnehmen. Ab heute sind es 20 Teilnehmerinnen.
Die Struktur der Supervision soll den theoretischen
Hintergrund der eigenen trauma-therapeutische
Begleitung festigen sowie den Raum für Fragen bieten,
um die eigene Arbeitsweise zu überprüfen. Zusätzlich
können weitere Ideen und Anregungen exemplarisch
vermittelt werden, wie der trauma-spezifische Ansatz
aussehen kann. Auch soll die Intervision gefördert
werden, die professionelle Unterstützung der
Teilnehmerinnen untereinander durch den Austausch
und die gegenseitige Unterstützung.
Es werden Gruppen aus dem Gesichtspunkt des
Klienten gebildet. In dem Bericht verzichten wir auf die
Bezeichnung KlientIn/KundIn, der Leserlichkeit zu
Liebe und entscheiden uns für die Bezeichnung Klient, hiermit sind sowohl die weiblichen als auch
die männlichen Klienten bzw. Kunden der Teilnehmerinnen gemeint.

Es bilden sich Gruppen mit den folgenden Überschriften:
- Männer
- Frau - Kind
- Familie
- Familie
Diagnostik:
- in Kleingruppen werden die Phänomene an Hand verschiedene Fragen gesammelt:
- Welche trauma-spezifische Symptome finden sie bei ihren Klienten vor?
- Wie sind die Erfahrungen bezüglich der Interaktion, des Kontakts?
- Auf welche Weise zeigt sich die Schwierigkeit, im „Hier und Jetzt“ zu bleiben?
- Wie wird mit den Grenzen umgegangen?
- Wie wird mit den Gefühle umgegangen, welche stehen im Vordergrund? Welche sind im Hintergrund oder nicht spürbar?
- Third item
- Wie ist das Sicherheitsbedürfnis und wie gestaltet dies der Klient?
- Wie ist der Umgang mit Aggression?
- Was ist zu bemerken, wenn nach der Selbstregulationsfähigkeit geschaut wird?
- Welcher Bewältigungsstrategie zeigt der Klient?
Auch wird der bisherige Methoden-Koffer nochmals zusammengetragen. Hier ein Auszug:
- Begleiten bedeutet nicht, die Ratgebende zu sein
- Im Austausch sind alle 5 Sinne anzusprechen
- Der Neugierde des Klienten auf der Spur bleiben
- Stabilität herstellen
- ThIm „Hier und Jetzt“ arbeiten
- Denken – Fühlen - Spüren verbinden
- Helfer installieren
- Neutrale Beobachter installieren
- Time-Line nützen, um Bewältigungsstrategien herauszuarbeiten
- Die Regenbogenübung
- Übungen zum „sich lebendig Fühlen“
- Der Aufbau des „Sicheren Ortes“
- Tresor-Übung
- Der persönliche Raum

Die Gruppen sind verschieden groß. Der Austausch unter einander verläuft sehr konzentriert.
Der Abgleich der Phänomene, welche beim Klienten zu finden sind, das Berichten, das Hören von
verschiedene Ideen, die unterschiedlichen Übertragungen und die daraus resultierenden Anregungen
der Kolleginnen hilft, um anschließend verschiedene Frage zu extrahieren. Nach anderthalb Stunde
kommen die Gruppen zusammen und lesen die Fragen vor.
Auch hier ein kleiner Auszug:
- „In welcher Trauerphase steckt mein Klient?“
- „Wo finde ich einen Verbündeten im System meiner Klientin?“
- „Wie schützt eine Mutter sich vor dem drogensüchtigen Sohn?“
- „Wie können wir uns einem Autonomie-Abhängigkeitskonflikt kreativ-therapeutisch annähern?“
- „Wie sieht der richtige Umgang mit sexuellem Missbrauch bei Jungen aus?“
- „Kann Schuld übertragen werden und wie könnte dies aussehen?“
- „Wie kann ein Monotrauma zum Multitrauma führen?
In den Biografien der Klienten treffen wir unterschiedliches Konfliktpotential an:
Gewalterfahrung und Gewaltzeuge, die unterschiedliche Stellung von Söhnen einerseits und
Töchtern andererseits innerhalb der Familien, Ermordung von Vätern, Müttern oder Geschwistern,
sexualisierte Gewalt, verbotene Homosexualität, Ehebruch, sozialer Abstieg.
Wir nehmen uns viel Zeit, die einzelnen Klienten durchzusprechen. Häufig nützen wir die
sensomotorische Simulation, eine Methode, die es möglich macht, die Perspektive zu wechseln.
Dabei werden die Rollen der einzelnen Beteiligten getauscht und so Informationen
zusammengetragen, welche eine breitere Spannbreite haben als die bisherigen Gedanken bzw. das
bisherige Verständnis des Klienten.
Auch nützen wir häufig die Methode des „Verraumens“.
Die Fallbesprechungen sind exemplarische Fälle. Das Team zeigt auf verschiedene Weisen, wie eine
solche Fragestellung oder Konflikt erarbeitet werden kann. Learning by doing.
Es ist uns möglich 4 „Fälle“ zu erarbeiten, die restlichen Fallbesprechungen werden auf den morgigen
Tag verlegt.


Am späten Nachmittag findet die heutige Dardasche statt.
Als Gesprächsthema wird die Frage gestellt: Welche Situationen führen zur Überforderung und sind
nicht mehr oder kaum zu bewältigen?
Jede Frau berichtet, welchen Weg ihr Arbeitsleben genommen hat. Wo sie angefangen hat und wo
sie heute ist. Uns wird von vielerlei Projekt-Arbeiten, Initiativen, Versuchen und Misserfolgen
berichtet. Die psycho-soziale Begleitung als Studienfach ist ein junger Zweig der universitären
Ausbildung im Libanon und erst im Aufbau begriffen.
Sonntagabend findet das Fest statt, welches die Teilnehmerinnen auch diesmal ausstatten. Schon im
Vorfeld ist die Freude und Aufregung deutlich zu bemerken, es soll ja für uns eine Überraschung sein.
Die Frauen haben sich im Vorfeld verabredet und das Fest organisiert.
Es wird eine palästinensische Hochzeitsfeier in traditionellen Kleidern nachgespielt, mit rituellen
Liedern, die Anklagen und das Beklagen der familiären Fehden inklusive. Wir staunen und haben
große Freude an dieser beeindruckenden Darbietung.
Montag 12. November: Supervision
Nachdem wir das Fest reflektiert haben, steigen wir zügig in die weitere Fortsetzung der Fallsupervision ein. An diesem Morgen werden durch die Fragestellungen und die Arbeit am Klienten folgenden Themen thematisiert:
- Übertragung - Gegenübertragung,
- Der Umgang mit der Hilflosigkeit
- Das Drängen, eine Lösung bringen zu wollen
- Der Umgang mit Depression
- Der Umgang mit unterdrückter Gewalt
Nach dem Mittagessen bieten wir den Teilnehmerinnen einen kreativ-therapeutischen Tanz an, der einerseits zur Stabilisierung der Teilnehmerinnen gedacht ist als auch als eine Methode ist, die sie in ihrer Arbeit einsetzen können:

„Der Tanz der Würde“ ist ein Leibtanz, also ein persönlicher Tanz mit Improvisationselementen, der über Grundbewegungen und Grundstrukturen verfügt und häufig in seinen Grundzügen wiederholbar ist. Im Ausdruckstanz ist die Zielsetzung eine tänzerische. Im Leibtanz geht es darum, im Erlebensprozess einen eigenen, persönlichen Tanz entstehen zu lassen, der keinerlei künstlerischen Kriterien entsprechen muss, da die Zielsetzung in erste Linie eine therapeutische ist.
Die Absicht des Leibtanzes ist eine doppelte: Auf der eine Seite fördern wir den Erlebnisprozess bei
der Entwicklung des Leibtanzes und auf der andere Seite erhalten die Teilnehmerinnen das
tänzerische Produkt. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf dem Erlebnisprozess.
Den Teilnehmerinnen wird zu der Erfahrung verholfen, etwas Eigenes zu schaffen und dabei Kontakt
mit nicht bewussten Aspekten ihres Leibes aufzunehmen, neue Aspekte zu entdecken oder bekannte
Aspekte in einem neuen Licht zu sehen.
Der ausgewählte Begriff findet sich auch in der Einzelarbeit oder ist ein Angebot, das in der Gruppe
klar definiert werden kann.
Der Ablauf eines Leibtanzes ist gekennzeichnet durch die Abwechslung von Tanzphasen, Übungen,
Sinnieren und Nachklingen lassen, von zusammen tanzen und anderen kreativen Medien wie malen,
schreiben oder musizieren.
Die Konstante dabei ist allerdings die Tanzphase, die meist unterlegt ist mit der gleichen, sich
wiederholende Musik. Zwischen den Tanzphasen werden neue Impulse bzw. Erlebniseinheiten
angeboten. Beim Zurückkehren zur Tanzphase ist die Entwicklung für die Teilnehmerin gut zu
erkennen und zu erleben.
Hier ein sehr knappes Beispiel, wie der Ablauf bei einem „Tanz der Würde“:aussehen kann:
- Identifikation mit dem Gegenteil
- Ablegen des Gegenteils mittels Bewegung
- Assoziieren von Bildern der Würde
- Umsetzung dieser Bilder in Bewegung mit Musik
- Experiment „Faden“
- Experiment „Kreuzbein-Unterstützung“
- Tanzen mit und ohne Faden / Kreuzbein
- Tanzen inkl. Begegnung
- Austausch.
Die Teilnehmerinnen berichten von sehr positiv besetzten, inneren Bildern.
Sie symbolisieren
Zuversicht, Entwicklung und Kraft.
Hier ein kleiner Auszug:
- „Wie ein Sonnenaufgang im Inneren.“
- „Es ist wie ein Berg voller Kraft und Stabilität.“
- „Ich habe mich tanzen sehen.“
- „Ich habe mich wie ein Baum mit Wurzeln gefühlt.“
- „Es ist als würde ich unter dem Sand hervor kommen.“
In der Dardasche am späten Nachmittag tauschen wir uns über die Möglichkeiten der Supervision am
Arbeitsplatz aus. Wie ist sie organisiert, wie findet „Self Care“ satt, wie wird die Supervision gestaltet
und welchen Platz nimmt sie in den vorhandenen Teams ein. Auch in Libanon gilt: Umso höher die
Angestellten gestellt sind, umso besser sind die Rahmenbedingungen. Es gibt einige Angebote, wobei
es sehr unterschiedlich ist, wer wie viel genehmigt bekommt.
Am Abend findet kein Programm statt, die Frauen entscheiden sich in einer fast geschlossenen
Gruppe nach Saida zu gehen, um dort noch einmal den Boulevard und das Eis zu genießen, bevor es
morgen wieder heimwärts geht.
Dienstag 13. November 2018: Abschluss
Am letzten Morgen des 3. Moduls fassen wir nochmal zusammen, was nun gelernt wurde. Mittels
eine kurze Rückbesinnung mit den Fragen: „Wie bin ich angekommen und wo stehe ich jetzt?“,
„Welche Fragen haben sich beantworten lassen und welche sind -noch- offen?“ und „Was habe ich
gewonnen?“
Wir sammeln und beantworten.
Auf einer Flipp-Chart sammeln wir nochmal die gelernten Methoden und das „Handwerkszeug“:
Pendulieren, Imaginieren, Time-Line, Verraumen, Orientierung in den Trauerphasen, Gefühlskreis,
Medienwechsel, Aufrichtung in Würde, Rituale, Art der Fragestellung, therapeutische Haltung und
freundliche Distanz.
Dann besprechen wir auch die Struktur des letzten Blockes der Fortbildung, sie soll im Herbst 2019
stattfinden. Das Seminar wird sich ein wenig unterscheiden von den vorherigen Blöcken.
Wir bitten die Teilnehmerinnen eine Hausaufgabe zu machen. Die Teilnehmerinnen sollen sich zum
letzten Modul des Trauma-Seminars November 2019 mit der Frage auseinandersetzen:
„Wo und auf welche Weise in der Arbeit mit dem Klienten sichtbar wird, dass sie an diese
Fortbildung teilgenommen haben.“
Jede Teilnehmerin bekommt in dem 4. Block die Gelegenheit, die Entwicklung eines Klienten
vorzustellen. Die Art der Vorstellung kann sehr individuell gestaltet werden, gerne auch auf eine
kreative Weise wie Malen, Gestalten, Tanzen oder Schreiben.
Die Zertifikatsübergabe wird in einem festlichen Rahmen stattfinden. Wir werden in der Hauptstadt
Beirut dafür einen Festsaal organisieren. Zu dieser Feier können auch Angehörige und Kollegen der
teilnehmenden Frauen eingeladen werden.
In der Abschlussrunde fassen wir nun einige persönliche Rückmeldungen zusammen:
- „Die Supervision war sehr nützlich. Es wurde am Beispiel sehr deutlich, welche Wege der Heilung und Gesundung es gibt. Dabei ist nicht immer das Reden das Mittel der Wahl.“
- „In dem Seminar wurde der Einblick in die Theorie vertieft. Die persönlichen „Verteidigungsmechanismen“ waren deutlich schwächer.“
- „Die Pendulation war sehr hilfreich und nützlich.“
- „Die Sicht der Helikopterperspektive ist sehr hilfreich, sie hilft dabei der Gefahr zu begegnen, die Übersicht zu verlieren oder in den Sog der Geschichten hineingezogen zu werden.“
- „Der Goldene Faden beim ‚Tanz der Würde‘ macht bewusst, wie wichtig die Spiritualität ist, sie stabilisiert mich.“
- „Es hat eine Zunahme der Feinfühligkeit bei mir und bei den anderen gegeben. Dies hat die Bereitschaft uns gegenseitig zu helfen bzw. zu unterstützen sehr gefördert.“
- „Hier ist ein Ort der Sicherheit, auch für meine Gefühle. Ich kam mit Trauer und Wut hierher, nun geht es mir viel besser. Die Übungen haben mir die Stärke gegeben, auf meinem Körper zu hören. Ich verstehe die Gefühle der anderen besser, da war die Supervision sehr hilfreich.“
Sie bedankt sich für die Freiheit in diesem Raum.
Alle Teilnehmerinnen möchten sich von ganzen Herzen
bei den großzügigen Spendern bedanken,
die es Ihnen ermöglich haben,
an dieser Fortbildungsreihe teilzunehmen.
Auch wir Dozenten möchten uns diesem Dank anschließen

Bericht über das Fortbildungsseminar im Dar Assalam, Libanon vom 05.11.-12.11.2019
Fortbildung im Umgang mit traumatisierten Menschen Modul IV, Thema: „Bewältigung und Integration“
Abschluss der 4-teiligen Modulreihe mit Zertifikatvergabe
Politische Situation im Libanon:
Es sind unruhige Zeiten im Libanon, denn seit dem 17. Oktober gehen die Bürger auf die Straße und
demonstrieren gegen die jetzige Regierung. Korruption und Misswirtschaft wird nicht länger toleriert. Es
scheint ein weitestgehend gewaltfreier Protest zu sein. Die Menschen der Protestbewegung legen durch
Straßenblockaden das Land lahm. Es kommt jedoch immer wieder zu Unruhen. Und es ist sehr unsicher was
geschehen wird, wie es weitergeht, ist nicht absehbar.
Wir haben unsere Entscheidung zu fliegen täglich neu überprüft und standen bis zum Beginn der
Fortbildung regelmäßig in Kontakt, sowohl mit den Teilnehmerinnen als auch mit den kooperierenden
Organisationen. Von Seiten der NGO’s werden wir dringend gebeten, das letzte Modul der 4-teiligen
Fortbildung durchzuführen.
Ankunft am Montagabend, 04.11.19 im kleinen Team
Herr Dr. Badeen und wir Dozentinnen sind gut und sicher mit keiner nennenswerten Verspätung
angekommen. Die Begegnungsstätte Dar Assalam empfängt uns wieder in seinen schönen Räumen und
verwöhnt uns mit seiner wunderbaren Küche.
Informationen zu den angemeldeten Teilnehmerinnen werden ausgetauscht und die Planung des 4. Moduls
wird an die politische Lage angepasst. Vieles ist ungewiss, so etwa, ob wir unseren Ausflug durchführen
können. Werden wir zur Zertifikatsübergabe wie geplant nach Beirut fahren können?
Viele Teilnehmerinnen melden sich über Whatsapp und kündigen ihr Kommen an, so Gott will.
Dienstag 05.11.19
Die letzten Vorbereitungen im Team und die Sichtung der notwendigen Materialien mit den letzten
Einkäufen füllt die Zeit bis zur Ankunft der Teilnehmerinnen.
Die Teilnehmerinnen können ab 17.00 ihre Zimmer beziehen, anschließend das erste Abendessen zu sich
nehmen und am Abend starten wir die Fortbildungsmodule wie immer mit der ersten Einheit.
In der ersten Gesprächsrunde werden die aktuellen Ereignisse ausgetauscht. Zunächst war es spannend zu
erfahren, wie der Weg zu bewältigen war und wie die Situation zu Hause ist, da die Schulen und die
Universitäten seit mindesten zwei Wochen geschlossen sind. Zwei Teilnehmerinnen erzählten, dass sie
trotzdem täglich zu ihrer Arbeitsstelle durchgedrungen sind, zwei konnten kaum aus dem Haus gehen,
andere waren aktiv bei den Demonstrationen dabei. Die Befürchtungen sind groß bzgl. des Verfalls des
Libanesischen Pfunds. Die Banken haben die Auszahlung von Dollars reglementiert. Aus diesem Anlass
erklärt Dr. Edward Badeen die Zusammenhänge des Finanzsystems und die Abhängigkeiten vom Dollar,
dem Goldpreis und den Ölpreisen.

Mittwoch, 6.11.19
Thema des Tages: Wiederholung und Auffrischung der Themen der vorigen Module in kreativer Arbeit
mit dem Schwerpunkt Ressourcen
Das Morgenritual findet diesmal nicht im Garten von Dar Assalam statt, sondern wir machen einen Spaziergang zu den Pinien, etwas außerhalb des Dorfes.
Die Erregung bzgl. der aktuellen Situation ist hoch und die Unsicherheit, wie sich die Lage weiter entwickeln
wird, bleibt bestehen. Die Sorge um die zurückgelassenen Familienmitglieder, Freunde und Kolleginnen
bestimmt auch die morgendliche Austauschrunde.
Um sinnvoll arbeiten zu können, bieten wir an, das bekannte Bewegungsritual durchzuführen, um den
Anschluss an die vergangenen Seminare herzustellen und die eigene Befindlichkeit im Körper
differenzierter wahrzunehmen. Im anschließenden Tanz sollen zwei aktuell wesentliche Gefühlsqualitäten
gefunden und benannt werden. Sie werden zueinander in Beziehung gesetzt und miteinander
kommuniziert. Eine erste Ordnung im Gefühlschaos wird auf diese Weise möglich.
Um mit der momentanen Ungewissheit über die weitere Entwicklung der politischen Situation umgehen zu
können, werden die Tagespläne modifiziert, die Arbeitszeiten und die Pausen neu eingeteilt. Die
Mittagspause wurde um eine halbe Stunde verkürzt, dafür am Nachmittag zwischen den beiden Einheiten
eine Stunde Pause eingeschoben, um die Möglichkeit zu eröffnen, eventuell wichtigen familiären
Angelegenheiten nachzukommen. Auch inhaltlich wurde beschlossen nicht problemorientiert, sondern
verstärkt ressourcenorientiert zu arbeiten.

Nachmittags:
Zunächst geht es darum, die eigenen Ressourcen, die über Tanz und Bewegung aufspürbar sind, bewusst zu
erleben. Anschließend arbeiten die Teilnehmerinnen in Triaden in Form eines therapeutischen Interviews:
„Wie arbeite ich mit meinen Klienten ressourcenorientiert?“. In der anschließenden Runde werden die
verschiedenen Qualitäten eines therapeutischen Interviews wiederholt und ausgetauscht. Ganz
grundsätzlich werden noch einmal die Wesensmerkmale einer therapeutischen Beziehung benannt.
In der Spätnachmittagseinheit wird die Frage besprochen, welche Ressourcen die Teilnehmerinnen aktuell
brauchen, um mit der unsicheren Situation im Land umzugehen. Welche Techniken aus den bisherigen
Fortbildungen sind jetzt sinnvoll anzuwenden?
Die Erfahrungen dieses Tages werden gebündelt in einer theoretischen Einheit zur Unterscheidung von
materiellen, sozialen und psychologischen Ressourcen, von inneren und äußeren Ressourcen,
traumaindizierte Ressourcen und dem therapeutische Nutzen dieses ressourcenorientierten Ansatzes.
Abends:

In der Dardarsche am Abend wird anstatt zu diskutieren diesmal kreativ gearbeitet. Es liegen verschiedenfarbige Perlen bereit sowie Nylonschnur zur Herstellung eines Ressourcen-Armbandes. Den Teilnehmerinnen wird angeboten ihre eigenen Stärken noch einmal klar zu benennen, mit jeder Perle, die sie aussuchen. Diese Erfahrung stabilisiert die Gruppe und wirkt ermutigend für die Einzelnen.
Die Heimat, die Familie, Freunde, die Palästina- Farben, die Kolleginnen, der Glaube, die Kinder, die Liebe und die Arbeitsstelle sind einige der Ressourcen, welche benannt werden.



Donnerstag, 07.11.2019
Thema des Tages: Wie geschieht Integration?
Der Tag beginnt mit Morgengymnastik im Garten um 7.30 Uhr.
Nach einem Einstiegstanz wird wieder über die Lage im Land und Zuhause berichtet. Die aktuellen Sorgen
bekommen Raum, um dann zum Tagesthema weitergehen zu können. Über eine musikalische Rückreise
versuchen wir die Themen der vergangenen Seminareinheiten wieder in Erinnerung zu rufen: „Boden“,
„Beziehung“, „Begegnung mit dem Trauma“. Daraufhin werden die Teilnehmerinnen in Kleingruppen
aufgeteilt und gebeten, sich auf ein Seminarmodul zu konzentrieren und einen Erinnerungsraum zu
gestalten.
Es entstehen Räume von ca. 20 qm, in denen die vielfältigen Angebote und Übungen des jeweiligen
vergangenen Moduls mit unterschiedlichen Mitteln dargestellt werden. So entstehen visuelle Eindrücke.
Erinnerungen können auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen erlebbar werden. Die Teilnehmerinnen
stellen ihre Räume vor und im Anschluss kann jede Teilnehmerin individuell in ihrem Tempo und in der von
ihr gewünschten Reihenfolge die Erinnerungsstationen besuchen und auf sich wirken lassen.
Im Austausch wird der Frage nachgegangen, was ist jetzt anders geworden? In der Reflexion der eigenen
Veränderungen wird die Entwicklung bewusst. Viele Rückmeldungen kommen bzgl. veränderter
Verhaltensweisen auch im beruflichen Kontext und in Alltagssituationen. Hierdurch kann auf der
Erlebnisebene der Prozess der Integration eingeleitet werden.


Es gibt Meldungen über die Veränderung im Umgang mit den eigenen Gefühlen. So berichtet eine
Teilnehmerin zum Beispiel: „Als ich zum ersten Modul kam, hatte ich so viel Wut in mir. Mein Rücken fing
an zu schmerzen, sobald ich tanzen wollte. Ich habe entdeckt, dass ich in der Lage bin, mich abzugrenzen
und eigene Entscheidungen zu fällen und auch durchzusetzen. Seitdem geht es mir viel besser“. Diese
Teilnehmerin hat ihren Job gewechselt und eine Arbeit aufgenommen, die ihr sehr viel mehr liegt und
deren Bezahlung auch besser ist.
Eine andere Teilnehmerin erklärte: „Ich habe eine ganz andere Art, mich zu bewegen, entwickelt. Es ist, als
sei ich aus einem körperlichen Nichtvorhandensein aufgetaucht. Meine Gefühle nehme ich vielfältiger und
differenzierter wahr und fühle mich sehr viel besser.“
Einige Teilnehmerinnen berichten, wie die Fähigkeit der Abgrenzung ihnen hilft, Verantwortungsbereiche
neu zu überdenken. Sie sind nicht mehr für alle und alles zuständig.
Wichtig war bei fast allen die Erfahrung, sich selbst einen sicheren und geschützten Raum schaffen zu
können, trotz der Überfülle an Themen und Anforderungen im Alltag.
Am Nachmittag wird die momentane politische Lage erneut thematisiert. Die Unsicherheit ist sehr groß, wohin steuert das Land? Kann in dieser Situation überhaupt ein Ausflug mit alle Teilnehmerinnen geplant werden? Das Bedürfnis den Zedernwald im Barouk zu besuchen wird intensiv diskutiert und der Programmablauf daraufhin geändert.
Anschließend bieten wir zwei Spiele an, die entweder zur Beruhigung oder genau für das Gegenteil - zur Aktivierung - einsetzbar sind. In einer erhöhten Stresssituation reagieren Menschen entweder mit erhöhter Wachsamkeit/Aktivierung des Nervensystems oder mit dem genauen Gegenteil: Hilflosigkeit oder Passivität. Wir bieten zuerst den „Spiegel-Tanz“ an (Förderung der Synchronisation) und danach das „Wäscheklämmer-Klau-Spiel“ (Angriff-Verteidigung).
Als Abschluss einer intensiven Nachmittagseinheit mit vielen persönlichen Rückmeldungen zur Integration der Seminarinhalte wird im Pavillon des Gartens des Dar Assalam im Stil eines traditionellen Märchenerzählercafés die Geschichte: von der „Palme mit dem Stein im Herzen“ vorgelesen. Ein Gleichnis darüber, wie die Integration eines lebensbedrohlichen Ereignisses aussehen kann.


Da am Morgen im Zuge der Reflektion oftmals die verschiedenen Beobachtungen bzgl. des kleinkindlichen Bindungserlebens für das Verhalten im Erwachsenenleben benannt worden waren, ist es uns wichtig, die Zusammenhänge zwischen Bindung und späterem Beziehungsverhalten noch einmal ausführlich zu wiederholen und vertiefend zu ergänzen. Die Theorie, wie die kleinkindlichen Bindungsmuster die Bindungserwartungen im Erwachsenenalter formt, wird mit freundlicher Erlaubnis der Forscherin Marianne Bentzen schriftlich ausgehändigt. Dr. Edward Badeen hat die Übersetzung ins Arabische übernommen.
Dardaschee am Abend:
Der Finanzmarkt, die Macht des Geldes und die Rolle des US-Dollars wird in der großen Runde besprochen.
Wie konnte die bedrohliche wirtschaftliche Lage im Libanon entstehen? Und wie versteht man die
weltwirtschaftlichen Zusammenhänge? Wie wird die Protestbewegung im Libanon eingeschätzt? Was kann
das für die palästinensische Bevölkerung für Folgen haben und für die syrischen Flüchtlinge?
Freitag, 08.11.19
Der Tag ist den Themen der Supervision gewidmet
In der Morgenrunde wird wieder die momentane Lage im Libanon thematisiert. Eine Teilnehmerin
berichtet, dass die Möglichkeit, Bargeld abzuheben, sehr stark eingeschränkt wird. Es droht ein
Bankenkollaps, wenn zu viele Devisen außer Landes gebracht werden. Deswegen werden kaum noch Dollar
herausgegeben. Die Teilnehmerinnen kommen nicht mehr an ihr Geld, können nicht abheben, können
keine Überweisungen tätigen. Es besteht große Sorge, wie der Alltag in naher Zukunft bewältigt werden
kann. Da wir wieder die Stimmungsschwankungen zwischen Hilflosigkeit und hoher Aktivität in der Gruppe
auffangen müssen, bitten wir jede Teilnehmerin, mit Hilfe des inneren Beobachters zu versuchen, sich
selbst zu stabilisieren. Weil nach und nach die Lösungsmöglichkeiten „was hilft mir jetzt, um mit der
Situation um zu gehen?“ benannt werden, wird sichtbar, wie vielfältig die Bewältigungsstrategien aussehen
können.
Anschließend arbeiten wir wieder mit zwei exemplarischen Spielen („Imaginäres Seilhüpfen“ und
„Unterarm-Massage“). Eine Lösung für das Land kann hier nicht gefunden werden, aber einen Weg, sich
selbst zu beruhigen, wird an diesem Morgen anhand des eigenen Erregungsniveaus geübt und verdeutlicht.
Das imaginäre Seilspringen basiert auf gutem Timing und Rhythmusgefühl. Damit kehrt wieder Struktur
zurück in die Gefühle von Chaos, der Boden wird genutzt, es wird geatmet und gelacht und es braucht eine
hohe Konzentration auf eine sehr konkrete Bewegung.
Die „Toucharbeit“ ist eine Form von Handmassage mit Öl. Diese Massage dient der Beruhigung und gibt ein
Gefühl von Nähe in der zwischenmenschlichen Beziehung. Ohne Worte wird über die Berührungsarbeit
kommuniziert.
Auch stellen wir die Aktivierungs-Ampel vor, eine Hilfe zur Selbsteinschätzung, um einzuschätzen wie hoch die Aktivierung der Einzelnen ist.
Nun endlich können die Supervisionsfragen gesammelt werden und die Supervision kann beginnen. Unter
anderem werden folgende Fragen gestellt:
„Wie ist der Umgang mit „Triggern“ in der Therapie?“
„Wie kann ich mich verhalten, wenn ich meinen Klienten nicht mag?“
„Wo ansetzen bei einem Klienten mit Multisymptomen, wenn er mehrere Symptome aufweist?“
„Wie kann ich meine Erfahrungen in der Therapie sinnvoll in meinem Supervisionsteam weitergeben, wenn
ich mit ganzheitlichen Methoden arbeite, die sie vielleicht nicht kennen?“
„Wie gehe ich mit meinen Kompetenzgrenzen um?“
„Wie kann ich mit Vorurteilen und Verurteilungen - vor allem von Seiten des Teams -umgehen?“
Wir gehen vertiefend auf das Phänomen „Trigger“ ein.
Mit Trigger (engl.: „Auslöser“) sind Sinneseindrücke gemeint, die in einem Menschen unangenehme
Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen hervorrufen, die von einer vergangenen oder anhaltenden
negativen Erfahrung herrühren.
In Kleingruppen werden persönliche Erfahrungen mit „Triggern“ ausgetauscht und exemplarisch wird an
einem von einer Teilnehmerin eingebrachten Fall gearbeitet.
Die Nachmittagseinheit beginnen wir mit einer gelenkten Imagination der sogenannten „Tresorübung“. Belastende Ereignisse, Gefühle oder Gedanken können weggepackt werden in einen Tresor, so dass die Belastung durch unangenehme Gefühle zunächst reduziert wird. Diese Übung ermöglicht, sich zu distanzieren und zu stabilisieren, und verhindert weitere Überflutung von überwältigenden Gefühle oder Gedanken. Später kann in sinnvollen Einheiten an diesen belastenden Erfahrungen und Gefühle gearbeitet werden.
Im Verlauf des Tages wird auf viele weitere Fragen eingegangen. Deutlich wird in diesem Zusammenhang,
in welchem festgelegten, hierarchischen System im Libanon die Behandlungen stattfinden. Immer wieder
tauchte die Problematik auf, wie mit Differenzen zwischen der Verordnung und dem Therapieplan des
Arztes und den Eindrücken der Therapeutin umgegangen werden kann.
Um mit Klienten mit Multisymptomen zu arbeiten, ist die Frage der Gewichtung der Symptome
entscheidend. Diskutiert wurde welcher Ansatz sinnvoller ist, zuerst die belastendsten Symptome in den
Blick zu nehmen oder eher mit den leichter zu bearbeitenden Problemen zu beginnen und den Klienten
nicht zu überlasten.
Die Frage “was tun, wenn ich meinen Klienten nicht mag?“ wurde mit Hilfe eines Rollenspiels
aufgenommen. So konnte das Empathie-Niveau diagnostiziert werden. Kann ein Klient überhaupt ohne
emphatisches Empfinden von Seiten des Therapeuten behandelt werden oder muss eine andere Lösung
gesucht werden?
Auch diesmal können wir am Ende dieses Tages eine schriftliche Übersetzung ins Arabische aushändigen,
diesmal die Tresorübung. Zusätzlich verteilen wir zwei Skalen, bezüglich Emotionen und
Erregungszuständen, die für die Arbeit hilfreich sind. Sie bieten eine Möglichkeit, um mit dem Klienten zu
überprüfen, inwiefern sich nach einer Sitzung die Erregungslage oder die Gefühlslage verändert hat.
Zur Stärkung und Kraftbündelung bieten wir zum Abschluss des Tages die Tigerübung an, in der jede
Teilnehmerin als Tiger ihr Territorium verteidigen muss.
Der Abend steht den Teilnehmerinnen zur freien Verfügung.


Samstag, 9.11.19
Ausflug zu den Baroukzedern

Die uralten Zedern sind im Al-Chouf-Zedern-Naturreservat zu finden, ca. 45 km nordöstlich von uns entfernt in den Baroukbergen. Wir waren schon einmal mit dieser Ausbildungsgruppe dort. Der Wunsch den Ausflug zu wiederholen, kam von den Teilnehmerinnen. Dies überrascht und freut uns. Die ursprüngliche Planung mit den Teilnehmerinnen am Abend in die Stadt Saida zu fahren, um dort essen zu gehen, verwerfen wir. Ausgehen und Feiern ist in der momentanen Lage keine gute Idee.
Stattdessen ist der Ausflug in die Natur erholsam. Abfahrt ist morgens um 8.00 Uhr. Diesmal sind die Frauen vorbereitet auf eine kleine Wanderung und möglicherweise kaltes Wetter. Wir planen zwei Übungen ein. Das Mittagessen soll erst nach der Wanderung um 14:00 Uhr stattfinden. Dies wäre vor anderthalb Jahren nicht möglich gewesen, die Teilnehmerinnen sind deutlich belastbarer und übernehmen mehr Verantwortung.

Während des Rundgangs an den ältesten Zedern Libanons vorbei bieten wir zwei Einheiten an. Eine Meditation unter den Bäumen, um den eigenen Wurzeln nachzuspüren, der eigenen Identität und des Eingebundenseins in den großen Kreislauf aller Lebewesen.
Als Überraschung werden Seifenblasen als therapeutisches Medium erklärt und erfahren. Die Teilnehmerinnen bekommen alle die Möglichkeit, dieses Medium kennenzulernen: damit zu spielen, den Atem geschickt einzusetzen, den Umgang mit der Zartheit und Leichtigkeit der Seifenblasen zu erleben. Seifenblasen wirken erheiternd und fördern die Interaktion. Dazu braucht es eine kontrollierte Motorik, um mit den Seifenblasen spielen zu können, wie etwa sie einzufangen, aufzufangen, weiterzugeben und hin- und herzuwerfen.

Der Verlust von Kontrolle und die Angst vor der Wiederholung eines Misserfolges spielen sehr häufig unbewusst eine hemmende Rolle bei der gesunden Verarbeitung einer negativen Erfahrung. Seifenblasen zu kontrollieren ist eine auf Triumph ausgerichtete Intervention. Das Wiedererlangen von Kontrolle in einer empfindlichen Situation ist in der Therapie mit traumatisierten Menschen von großer Bedeutung.

Nach der ca. zweistündigen Wanderung durch den Zedernwald endet der Ausflug mit einem gemeinsamen Essen in einem sehr schön gelegenen, einfachen Restaurant. Wir sind am Ende des Nachmittags wieder zurück in Dar Assalam.
Am Abend bieten wir im Foyer Einzelhilfe zu den bevorstehenden Abschlusspräsentationen an. Fragen und Ideen werden hier überprüft und geklärt, die Teilnehmerinnen freuen sich auf die Herausforderung.


Sonntag, 10.11.19
Tagesthema: Die Präsentationen der Teilnehmerinnen
Wir beginnen mit einer kurzen Einheit zum Start in den Tag. Der Schwerpunkt liegt auf Atemwahrnehmung
und Spannungsabbau. Die Hälfte der Teilnehmerinnen werden an diesem Tag ihre Präsentation zeigen, die
restlichen am folgenden Tag.
Aufgabe der Präsentation ist es, an einem Beispiel aus der Arbeit mit Menschen den Prozess eines Klienten
zu beschreiben, an dem deutlich wird, was sich in der Entwicklung des Klienten verändert hat, seit die
Teilnehmerinnen ihr Wissen aus der Fortbildungsreihe zur Anwendung bringen können.
Eine große Vielfalt an kreativen Präsentationen zu verschiedenen Arbeitsschwerpunkten wird nun an
diesem Tag gezeigt:
Einige Beispiele wollen wir besonders hervorheben:
- Die Arbeit in einem Frauenzentrum im Flüchtlingslager mit einer Gruppe von Frauen mit
Gewalterfahrungen:
Die Teilnehmerin zeigt in einem Gruppentanz die Entwicklung einer Frauengruppe die regelmäßig im Flüchtlingslager zusammenkommt. Die Teilnehmerin hat ihr eigene Position als Gruppenleiterin reflektieren können und deutlich verändert. Sie erfasst deutlicher, was die gewalterfahrenen Frauen brauchen, und demonstriert eine bessere Strukturierung des Angebots. Sie selbst ist klarer abgegrenzt, dadurch verlaufen die Interventionen weniger konfliktreich. Sie hat sich eine Co- Therapeutin dazu geholt, so dass die Frauen sich besser wahrgenommen fühlen. Es wird deutlich, dass die Gruppe von gewalterfahrenen Frauen sich nun besser auf die Angebote einlassen kann und die Frauen ebenso ihr eigenes Gewaltpotential besser kontrollieren können. - eine Arbeit in einem Flüchtlingslager mit einer Gruppe von Frauen in schwierigen
Lebenssituationen:
Es handelt ich um eine Gruppe von Frauen, die sich in schwer erträglichen Situationen befinden. Die Teilnehmerin demonstriert, wie sie mit verschiedenen Übungen zum Thema Selbstregulation den Frauen ein Gefühl von Selbstvertrauen und Selbstermächtigung vermitteln kann. Sie selbst hat an Selbstsicherheit im Umgang mit diesen sehr schwierigen Themen gewonnen, und strahlt eine für alle wahrnehmbare Zuversicht und Lebensfreude aus. Ein Vorher und Nachher wird deutlich sichtbar. - die Arbeit mit einer hoch belasteten, alleinerziehenden Mutter:
Die Teilnehmerin ist schauspielerisch begabt und demonstriert eine Arbeit mit einer alleinerziehenden Mutter, die unter der Belastung zu zerbrechen droht. In den Übungen, die die Wahrnehmung für die eigenen Grenzen stärken, hat sie erfolgreich Prozesse in Gang setzen können, die der Mutter erlauben, sich besser gegenüber den Kindern zu behaupten, aber auch ihrer Umgebung ihre Hilfsbedürftigkeit deutlich zu machen. Die Gefahr der Erschöpfung ist reduziert. Die Teilnehmerin lebt selbst als Alleinerziehende und hat die Erfahrungen umsetzen können, die sie in der Fortbildung gemacht hat. - die Behandlung einer postnatalen Depression:
Die Teilnehmerin zeigt in einem ausdrucksvollen Tanz die Unfähigkeit der Mutter, Beziehung zu ihrem Kind aufzunehmen. Über kreative Angebote, bewegen, malen, singen gelingt es ihr, der Mutter ein Gefühl für die Bedürfnisse ihres Kindes zu vermitteln. Sie darf sich selbst als kindlich erleben. Die Teilnehmerin selbst hatte eine Kindheit im Bürgerkrieg erlebt, in der sie sehr früh Verantwortung für die mutterlose Familie hatte übernehmen müssen. Sie macht sichtbar, wie die Mutter ihre Wege aus der postnatalen Depression findet und eine echte Beziehung zu ihrem Kind aufbauen kann. - die Behandlung einer erwachsenen Frau, die in der Anpassung an ihre Rolle als Frau und Mutter,
die pubertäre Phase übersprungen hatte.:
Die Teilnehmerin spielt die Szene, indem sie einen inneren Dialog erlebbar macht. Sie zeigt eine Kommunikation zwischen einer Mutter und ihrer pubertierenden Tochter, die wohl so nie stattgefunden hat. Durch die Rollenspiele wurde es der Frau ermöglicht, den Konflikt zu verdeutlichen und eine veränderte Rolle für sich selber wahrzunehmen. Sie lernte sich selber besser zu regulieren, um ihren aktuellen Aufgaben als Mutter gerecht zu werden. Die Teilnehmerin selbst ist eine äußerst verantwortungs- und pflichtbewusste junge Frau, für die die Fortbildung die Gelegenheit war, ganz andere Seiten ihrer Persönlichkeit zu entdecken. - die Überwindung der Fixierung auf ein Trauma:
Immer wieder wird bei verschiedenen Präsentationen deutlich, wie über den Tanz Fixierungen auf eingefahrene Verhaltensweisen, ausgelöst durch traumatische Erfahrungen, gelöst werden können. Tanz bietet die Möglichkeit sich selbst als kraftvoll, lebendig und kreativ zu erleben und gleichzeitig einbezogen in die Gemeinschaft. Im Ausdruckstanz formen sich neue Bilder von Identität und Eigenständigkeit. Einige Teilnehmerinnen zeigten in unterschiedlichen Präsentationen, wie sie mit Hilfe von Tanz an der Überwindung von Festschreibungen auf krankhaftes Verhalten gearbeitet haben.



Die Teilnehmerinnen haben mit Hilfe von Rollenspielen, Tänzen, Bildern und Gestaltungen die Prozesse der Klienten und der Therapeutinnen deutlich gemacht. Nach jeder Präsentation gab es eine Feedbackrunde mit wohlwollenden und kritischen Rückmeldungen.
Zur Abrundung folgt eine Dardasche am Spätnachmittag, um die gesehenen Präsentationen wert zu schätzen und die Frauen darin zu bestärken, ihre eigenen Wahrnehmungen und Meinungen weiter zu entwickeln.
Montag, 11.11.19
Tagesthema: Die Präsentationen der Teilnehmerinnen
Die Teilnehmerinnen sind hoch motiviert bei der Fortsetzung der Präsentationen, trotz der massiven
Schwierigkeiten im Land - eine Großdemonstration wird für Dienstagvormittag vor dem Parlamentsgebäude
in Beirut angekündigt. Das wirft die Frage auf, ob wir unsere Zertifikatsfeier am Dienstagmittag
wie geplant in Beirut abhalten können. Das Team steht in ständigem Kontakt mit verschiedenen
Informationsquellen. Die Teilnehmerinnen werden von uns über die Alternativen informiert:
- kein Ortswechsel - wir bleiben in Dar Assalam
oder
- das Vorziehen der Feier auf den Montagabend.
Erst nachdem von Seiten der Regierung die Parlamentssitzung für den Dienstag abgesagt wird, können wir
die Entscheidung fällen. Wir werden nun nach Beirut fahren können.
Die Themen der Präsentationen an diesem Tag sind:
- Die beeindruckende Entwicklung von einer stark verwahrlosten Klientin wegen einer schweren Depression hin zu einer aktiven, auf Ressourcen aufgebauten Stabilität der Frau. Sie kann den Kontakt zur Außenwelt wieder aufnehmen und die Lethargie ablegen.
- Ein weiteres Thema, das in verschiedenen Variationen immer wieder vorkommt, ist der Konflikt zwischen Abhängigkeit und Autonomiebestreben. Auch dies ist ein persönliches Thema einiger Teilnehmerinnen, so dass sie sensibel damit arbeiten können. Dieses Thema wurde ebenso meistens tänzerisch dargestellt.
In einer weiteren eindrucksvollen Präsentation ging es darum, wie es einer desorganisierten Persönlichkeit hilft, durch das Setzen von Grenzen allmählich zu einer Verbesserung ihrer Alltagsgestaltung zu finden. Die Erfahrung, die eigenen Grenzen kennen zu lernen, Grenzen setzen zu dürfen, wurde von vielen Teilnehmerinnen im Kontext ihrer Arbeit aber auch in ihrem Privatleben, als sehr wesentlich beschrieben.





Für die Teilnehmerinnen ist es ungewöhnlich und eine wichtige Erfahrung, dass die Präsentationen nicht in ihrer Form bewertet werden. Es gibt eine große Vielfalt an kreativen Ideen, manche Teilnehmerinnen erzählen nur, andere haben einen großen Aufwand betrieben durch die aufwendige Herstellung von Requisiten, Kostümen und der genauen Auswahl der begleitenden Musik. Es geht in den Präsentationen nicht um eine künstlerische Darstellung, sondern um das Erkennen, welche therapeutischen Prozesse die Klienten und/oder Therapeuten durchlaufen haben. Die Kritiken betreffen eher Ergänzungen und Optimierungen der vorhandenen Herangehensweise.
Die Rückmeldungen sollen die
Weiterentwicklung fördern, damit die
Teilnehmerinnen sich auch in ihrem Prozess
bestärkt fühlen. In der therapeutischen
Begleitung sollte die Bewertung möglichst draußen bleiben. Mögen die Symptome der Klienten noch so
unverständlich oder unlogisch sein, sie sind meistens die bis dahin beste Lösung, um mit einem
darunterliegenden Konflikt umzugehen.
Im Libanon wird sehr viel bewertet, die Benotung hat einen hohen Stellenwert. Die weichen Werte, wie sie
in der Begleitung von Menschen benötigt werden, bilden meistens kein vordergründiges Kriterium.
Am späten Montagnachmittag bieten wir noch einmal theoretischen Hintergrund für die Integrationsphasen in einem therapeutischen Prozess an. Unter anderem werden folgend Fragen ausführlich behandelt:
- Wo passiert Integration und woran ist es zu bemerken?
- Wie geschieht sie und welche Angebote oder Fragen zielen auf Integration ab?
- Wie können die Veränderungen aussehen, nachdem eine Integration stattgefunden hat?
Anhand von Fragen und Beispielen der Teilnehmerinnen wird dies verdeutlicht.
Die Integration ist die letzte Phase eines therapeutischen Prozesses. Sie findet meistens im letzten Drittel
des Kontakts statt. Es ist die Änderung, die auch im außen, im Alltag sichtbar wird.
Änderungsbeispiele:
Auf der autonomen Ebene können dies folgende Fortschritte sein:
- Die Phasen, in denen die Betroffene sich behaglich oder wohlfühlt, haben zugenommen.
- Der biologische Rhythmus von Tag und Nacht (Schlafstörungen) hat sich zum Positiven geändert.
- Die Stimme oder die Atmung, die Verdauung oder die Körperspannung haben sich verändert.
Auf der lymbischen Ebene können dies folgende Veränderungen sein:
- Der Umgang mit den Gefühlen hat sich geändert, vor allem mit den Gefühlen wie Trauer, Wut und Freude.
- Das Beziehungsverhalten hat sich geändert.
Auf der cortikalen Ebene können sich folgende Änderungen ergeben:
- Das Verständnis für sich selber oder für andere hat sich geändert.
- Reflexion ist möglich geworden.
- Der Umgang mit Kritik oder die Fähigkeit mit Entscheidungen zu treffen hat sich geändert.
- Impulse lassen sich besser kontrollieren.
Dienstag, 12.11.2019
Abschluss und Zertifikate
An diesem Morgen wird noch eine Übung zur Integration angeboten. Wir bitten die Teilnehmerinnen, einen Brief an sich selbst zu schreiben, der mit „Liebe…… „ anfangen soll. Diese Arbeit verlangt noch einmal viel Selbstreflexion darüber, was ich mir selber noch mal mitteilen will und was mir besonders wichtig geworden ist. Als letzte Feed-Back-Runde stellen wir den Teilnehmerinnen vier Fragen, die sie aber nicht alle beantworten müssen:
- Was hat mich zufrieden gemacht?
- Was hat mich unzufrieden gemacht?
- Was habe ich gelernt?
- Was hat mich überrascht?
Die wichtigsten Antworten haben wir hier zusammengetragen.
Zur ersten Frage:
- „Ich habe meine Ressourcen gefunden.“
- „Die Präsentationen waren sehr wichtig. Ich habe dadurch nochmal sehr viel mehr verstanden, nicht nur, weil ich mir klar machen musste, was meine Klienten nun gelernt hatten, sondern auch beim Sehen der anderen Präsentationen habe ich lernen können, wie wichtig die offene Haltung und wie hinderlich eine vorgefertigte Meinung sein kann.“
- „Ich habe mich oft gefragt, warum die Module so aufgebaut waren. Bei der Rückschau habe ich es dann verstanden.“
- „Alle Angebote, die Übungen waren für mich sehr nützlich. Ich habe gelernt, mehr Verständnis für mich, aber auch für meine Klienten zu bekommen. Ich habe vielleicht nicht alles verstanden, es macht mich aber sehr zufrieden.“
Zur zweiten Frage:
- „Nicht alle wichtigen Gefühle, welche in der Arbeit eine Rolle spielen, habe ich in der Präsentation zeigen können, ich verstehe noch lange nicht alle, aber ich nehme sie immer mehr wahr, sowohl bei mir, als auch bei meiner Klientel.“
- „Ich hätte abends noch in Beirut arbeiten sollen, das war immer ein Konflikt, aber hier übernachten zu können, war sehr wichtig“
- „Die Präsentation war lästig aber nützlich. Ich hätte sogar noch mehr machen können.“
- „Die angespannte Lage im außen war belastend.“
Zur dritten Frage:
- „Die professionelle Arbeit braucht viel Veränderung in mir selber. Es hat mich überrascht, was ich von den anderen annehmen konnte, das hat mir sehr geholfen. Ich konnte zum ersten Mal alleine in einem Zimmer schlafen!!“
- „Ich habe wieder erlebt, wie wichtig die Beziehungen sind und wie wichtig es ist, nicht zu vergleichen.“
- „Ich habe jetzt eine Verbindung entwickeln können, ich verstehe die Welt der Gefühle viel besser und kann sie akzeptieren, egal ob gute oder schlechte Gefühle, bei mir oder bei Anderen.“
- „Ich habe verstanden zu trennen, welche Ängste kommen von innen und welche Ängste beziehen sich auf außen. Das ist sehr hilfreich, wenn ich Menschen begleite.“
Zur vierten Frage:
- „Die Kreativität ist eine wichtige Quelle, in den Präsentationen wurde dies sehr gut sichtbar.“
- „Ich habe in einer relativ kurzen Zeit sehr viel aufgenommen. Noch nie habe ich so schnell verstanden, das hängt mit den ganzheitlichen Methoden zusammen!“
- „Dieses letzte Seminar war anders, ich habe eine andere Spannung gespürt, mit der aktiven Nutzung der kreativen Methoden wurde die angespannte Situation, die momentan im Libanon herrscht, erträglich. Ich habe den kreativen Ansatz nochmal ganz anders schätzen gelernt“
- „Ich habe verstanden, dass das Trauma ein Teil meines Lebens ist und mir nicht immer meine ganze Aufmerksamkeit abverlangt.“
- „In der Arbeit mit Kindern ist es wichtig, nicht immer nur nach den Verletzungen zu schauen!“
Nach dieser Runde wird zusammengepackt, Mittag gegessen und direkt anschließend nach Beirut gefahren.
In der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Beirut stehen uns freundlicherweise die Kirche und
der Gemeinderaum für die Feierlichkeiten zur Verfügung.
Die Teilnehmerinnen haben auch Familie und Freunde zur Feier eingeladen.
Wir gestalten eine sehr feierliche Zertifikatsübergabe. Jede Teilnehmerin bekommt im Beisein vom
gesamten Team ihr Zeugnis überreicht, die Leitung der großen palästinensischen NGO „Najdeh“ ist extra
zur Zeugnisübergabe angereist.
Wir schließen diese Seminarreihe mit einem gemeinsamen Gruppenfoto und einer kaum zu bremsenden
Überschwänglichkeit: „Wann findet das nächste Seminar statt?“
Wir danken dem evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart und allen Unterstützern und Spendern
ausdrücklich, nur so ist diese Arbeit möglich geworden.
Wir, die TrainerInnen sind dankbar, dass wir auf diesem Wege eine kleine Hilfe leisten konnten für
Menschen in diesem so sehr belastetem Land.
Edward Badeen, Ruth Simon Weidner und Friederike Weltzien

Bericht über das Fortbildungsseminar im Dar Assalam, Libanon, vom 19.3.2022 - 26.3.2022
zum Thema: „Umgang mit traumatisierten Menschen“, Modul I
Vorbemerkungen:
Nach einer coronabedingten Pause von fast zwei Jahren, können wir zum ersten Mal wieder in den Libanon reisen, um hier (mit großem Enthusiasmus) eine neue Gruppe von Sozialarbeiterinnen und pädagogischen Kräften im Umgang mit traumatisierten Menschen zu unterstützen bzw. weiterzubilden. Wir erleben einen kalten Frühling im Libanon. Es hat viel geregnet und es regnet weiter. Besonders die Räume sind kalt und wenn die Sonne nicht scheint, wird auch das Nutzwasser nicht warm. Diesel, um den Generator zu betreiben, war und ist sehr teuer und dazu auch schwer zu bekommen. In den Läden gab und gibt es kein Mehl zu kaufen, daher ist der Aufruf an alle aus der Schweiz und Deutschland Einreisende ergangen, Mehl und Haferflocken mitzubringen. Die Inflation hat die Preise für Lebensmittel hochgetrieben. Die Stimmung ist bedrückend und die Sorgen, wie es im Libanon weitergehen wird, sind groß.
Die DozentInnen Friederike Weltzien, Ruth Simon- Weidner und Dr. Edward Badeen reisen am Freitag, den 18.3.22, an, um noch letzte Vorbereitungen zu treffen. Frau Suzi Abou-Samra, als Assistentin neu im Team, kommt am Samstag dazu. Sie bringt ihre Erfahrungen als Musikpädagogin ein. Frau Abou-Samra war Teilnehmerin in unserer ersten Fortbildungsgruppe und konnte seither in ihrer musikpädagogischen Arbeit in Beirut mit Frauen und Kindern trauma-therapeutische Erfahrungen einbringen. Sie hat nach der großen Explosion im Hafen von Beirut (am 04.08.2020) in der Begegnungsstätte Dar Assalam eine eigene Gruppe angeboten, um einige der von der Explosion betroffen Frauen psychisch zu unterstützen.

In der Vorbereitung für diese Fortbildung hat es intensive Gespräche mit den leitenden Mitarbeiterinnen der Nichtregierungsorganisation „Najdeh“ gegeben. Diese Organisation wurde 1976 im Libanon gegründet und arbeitet in den palästinensischen Flüchtlingslagern und deren Umfeld. Unter anderem kämpft sie gegen die Diskriminierung palästinensischer Frauen. Sie betreibt in verschiedenen Flüchtlingslagern Kindergärten und andere soziale Einrichtungen. Die Direktorin, Frau Leila El Ali, hat uns gebeten, wieder eine neue Fortbildung mit vier Modulen für jüngere Mitarbeiterinnen durchzuführen. So wurde das geplante Supervisionsseminar in Präsenz für die vorherige Gruppe mit dem Argument, dass die Supervision per Zoom stattgefunden hat und weiter stattfinden kann, gestrichen.
Wegen der Coronasituation müssen wir die Teilnehmerinnenzahl begrenzen. Auch müssen
diesmal die teilnehmenden Frauen „in Kohorte“ bleiben, das heißt, die Frauen können nicht am
Abend nach Hause oder parallel zur Fortbildung noch weiteren Arbeiten nachgehen, da wir die
Kontakte zur Außenwelt auf ein Minimum reduzieren müssen.
Die neue Gruppe von dreizehn Teilnehmerinnen besteht daher ausschließlich aus jungen
(zwischen 24 und 32 Jahren) Mitarbeiterinnen der Organisation Najdeh. Sie leben und arbeiten in
den palästinensischen Flüchtlingslagern, in denen sie oft schon selbst aufgewachsen sind und
manche arbeiten in den Zentren, in denen sie selber betreut worden sind. Sie kommen aus dem
Lagern: „Nahr el Bared“ und „Beddawi“ im Norden, „Bourj el Barajneh“ in Beirut, „Ain el Helweh“
bei Saida und „El Bas“ im Süden. Nur zwei von Ihnen haben selbst Kinder, eine ist verheiratet und
hat drei Kinder, die andere bekam ihren Sohn mit 16 Jahren und ist inzwischen geschieden. Drei
Teilnehmerinnen sind Sozialarbeiterinnen, eine junge Frau arbeitet in der Bibliothek mit allen
Altersgruppen und die anderen betreuen Kindergruppen, Jugendliche und Frauengruppen in den
Flüchtlingslagern. Viele erzählen, dass sie ihre Arbeit sehr gerne machen, besonders die Arbeit mit
Kindern.
Latife Abdul Aziz ist extra aus Deutschland angereist, um die Hausleitung zu übernehmen.
Samstag, der 19.03.22:
Wir freuen uns, dass alle dreizehn angemeldeten Teilnehmerinnen pünktlich um 17.00 Uhr
beisammen sind. Bis auf drei Teilnehmerinnen sind alle 2- oder 3-mal gegen Corona geimpft.
Dennoch werden alle gebeten einen Coronatest zu machen, was für einige keine einfache
Prozedur ist.
Vor dem gemeinsamen Begrüßungsessen führt Latife Adul Aziz die Gruppe in die Geschichte der
Begegnungsstätte „Dar Assalam“ ein und erklärt alle Regeln des Zusammenlebens. Eine Liste
wird ausgehängt, in der sich jeweils zwei Teilnehmerinnen für jeden Tag eintragen sollen, um das
Seminar in organisatorischen Belangen zu unterstützen. Sie sorgen für Pünktlichkeit in der
Gruppe, tragen Materialien hin und her und schauen danach, dass alles Geschirr wieder an der
richtigen Stelle abgestellt wird. Das hat sich sehr bewährt und alle im Team entlastet. Außerdem
wird auf diese Weise die Mitverantwortung der Teilnehmerinnen für die Fortbildung gefördert.

Der Einstieg in die Fortbildung wird mit Engelskarten von Andreas Felger gestaltet. Die Karten sind eher abstrakte Farbkompositionen. Jede Teilnehmerin sucht sich eine Karte aus, um sich damit vorzustellen. Es ist gedacht, den Teilnehmerinnen eine schützende Figur für die Fortbildung zur Seite zu stellen. Die Assoziationen der Frauen sind durch die unklaren Konturen der Engelsgestalten eher bedrohlich. Sie sehen z.B. ins Totentuch gehüllte Verstorbene oder fühlen sich wie von den großen Flügelbildern festgehalten. Mehrmals wird von der Explosion im Beiruter Hafen berichtet.

Der erste Eindruck der DozentInnen ist, dass viele der Frauen, eigentlich die meisten, selber mit schweren Traumatisierungen zu kämpfen haben. Die Programmplanung muss daraufhin immer wieder neu angepasst werden, um auf die Betroffenheit der Teilnehmerinnen zu reagieren. Das Verständnis, was Trauma bedeutet, wie sich unverarbeitete Traumata zeigen und welche Folgesymptome daraus entstehen können, ist für die meisten Teilnehmerinnen neues Wissen. Da wir das empirische Lernen als Methodenvermittlung nutzen, muss die Theorie behutsam und exemplarisch vermittelt werden.
Sonntag: 20.03.2022
Thema: Der Boden als Stabilisator
Um anzukommen in der Fortbildung und Vertrauen in der Gruppe aufzubauen, haben wir eine Bewegungseinheit vorbereitet, die wir aber nach den ersten Versuchen stark reduzieren müssen. Es geht uns darum, die Erfahrung zu vermitteln, den Boden unter den Füßen bewusst wahrzunehmen, das eigene Gewicht zu spüren und sich zu vergewissern, vom Boden getragen zu werden. Sobald das Gefühl entsteht, dem Boden vertrauen zu können, kann sich der ganze Körper mehr entspannen. Hier zeigte sich die Symptomatik, dass es traumatisierten Menschen oft nicht möglich ist, sich dem Boden anzuvertrauen. Als Gegenpol wird aus dem Spiel mit dem Gewicht, der eigenen Schwere und der daraus erlebten Beziehung zum Boden ein Moment von Leichtigkeit.

Leider trägt die Kälte im großen Speisesaal von Dar Assalam nicht zum Wohlbefinden und zur
Entspannung bei und wir beschließen, die weitere Fortbildung so weit wie möglich im oberen
Raum des ersten Hauses stattfinden zu lassen. Der kann durch die vielen Fenster von der Sonne
gewärmt werden, sobald sie scheint, außerdem gibt es zusätzlich eine Heizung, die auch für den
ganzen Raum ausreicht.
Dort erarbeiten wir im Anschluss die verschiedenen Trauma-Definitionen und erklären unseren
ganzheitlichen körpertherapeutischen Ansatz, bei dem wir uns auf die Erkenntnisse der
Traumatherapie von Peter Levine mit den Techniken von S.E. (S.E. bedeutet „somatic
experiencing“) stützen. Ebenso nutzen wir die Möglichkeiten der Imagination nach Luise
Reddemann und orientieren uns an den Erfahrungen von Gabriele Frick-Baer aus ihrem Buch:
„Aufrichten in Würde - Methoden und Modelle leiborientierter kreativer Traumatherapie“.
Für den Nachmittag steht auf dem Programm, den „Inneren Beobachter“ zu installieren, da wir diesen im Laufe der Fortbildung immer wieder brauchen werden. Wir lassen dafür die Teilnehmerinnen Gegensatzpaare in verschiedenen Räumen erspüren, um die Unterschiedlichkeit auch in der Körperhaltung wahrzunehmen, z.B.: Sich selbst in der Position von Stärke erleben und dann den Raum wechseln, um dem Gefühl von Schwäche nachzuspüren.
Ein anderes Gegensatzpaar, das von den Teilnehmerinnen ausgewählt wird, ist Interesse oder Neugier versus Langeweile. Zu unserem Erstaunen hat die Neugier eine negative Konnotation, während Langeweile mit Schutz und Zufriedenheit verbunden wird. So werden erste Erfahrungen gemacht, um die eigenen unterschiedlichen körperlichen Reaktionen beobachten zu können. Zusätzlich stärkt eine geführte Imagination auf Arabisch, vorgelesen von Suzi Abou-Samra, die eigene Vorstellung eines inneren Beobachters. Das Erlebte wird anschließend bildhaft umgesetzt und zu zweit ausgetauscht.


Das Installieren eines „Inneren Beobachters“ ist eine gängige Methode in der Psychotherapie und notwendig bei der Begleitung von traumatisierten Menschen. Sie fördert die Neutralität, erleichtert den Umgang mit schwerem Leid und lässt die Betroffenen handlungsfähig bleiben. Dies ist notwendig, um der Hilflosigkeit/Machtlosigkeit und der Überschwemmung von schwierigen Gefühlen entgegentreten zu können.

Eine ausführliche Vorstellungsrunde am Ende des Nachmittages dient dem Aufbau einer vertrauensvollen Basis in der Gruppe. Das Zuhören und Gehört werden, die Förderung des aktiven Zuhörens und die gegenseitiger Wertschätzung wird so praktisch anstatt theoretisch geübt.
Suzi Abou Samra hat im Laufe des Tages immer wieder mit rhythmischen Übungen der Gruppe zu ruhiger Konzentration verholfen.
In der Dardashe am Abend mit Dr. Edward Badeen und Suzi Abou Samra wird das rhythmische musikalische Miteinander erweitert. Rhythmus und Gemeinschaft sind basale Ressourcen, welche zu Zugehörigkeit, Sicherheit und zum ‚Gehört werden‘ führen. Es entsteht ein lebhafter Austausch über gemeinsam bekannte Lieder und es wird begeistert gesungen. Der erste Tag endet mit einem Geflecht aus gemeinsamen Liedern und dem Austausch über gemeinsame Traditionen. Auch das kann ein Erleben eines gemeinsamen Bodens sein.


Montag, der 21.03.22
Thema: Sicherheit in Bezug zum Leib
Dieser Tag ist dem Thema „Sicherheit“ gewidmet. Es soll erklärt und verdeutlich werden, warum das Gefühl der äußeren und inneren Sicherheit wesentlich ist für die Traumatherapie und auf welche Weise ein Gefühl für Sicherheit verloren gehen kann.
In der morgendlichen Bewegungseinheit haben die Teilnehmerinnen die Möglichkeit drei verschiedene Kinesphären/Bewegungsräume auszuprobieren. Wann kann ich es wagen, große raumgreifende Bewegungen zu machen, oder wann erlaube ich mir Bewegungen, die sich ganz in Körpernähe mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit und Selbstliebe verbinden? Suzi Abou Samra lässt die Teilnehmerinnen mithilfe von Instrumenten Klangräume schaffen, aus denen heraus sie einüben, in sensibler Weise aufeinander zu hören und miteinander zu kommunizieren.
Im theoretischen Unterricht werden die Aufgaben des Autonomen Nervensystems (ANS) erklärt und das natürliche Wechselspiel der beiden großen Nervenstränge Sympathikus und Parasympathikus an verschiedenen Beispielen verdeutlicht. Verdeutlicht wird, wie durch die Wahrnehmung von Gefahr die Reaktionen der mit dem sympathischen

Nervenstrang verknüpften Organe ausgelöst werden und wie die Nervenstränge des Parasympathikus aufgrund der Entwarnung zur Entspannung führen können oder eben nicht, wenn das Gefühl der Sicherheit sich nicht einstellt. Der Wechsel von Anspannung und Spannung, die Rhythmen des Lebens und der inneren Organe wird mit Hilfe des „Habermann“ veranschaulicht. Ebenso werden die Gehirnstruktur und deren verschiedene Funktionen (das dreieinige Gehirn) mit Tafelbildern und kleinen Übungen verdeutlicht.

Daraus ergibt sich eine Einzelarbeit mit einer Teilnehmerin zu den Fragen ihrer persönlichen Geschichte, ihrer eigenen Kindheit und deren Verbindung zu ihrer aktuellen Lebenssituation. Das Gefühl durch eine eigene Schuld an die Vergangenheit gebunden zu bleiben, erlebt sie als großes Hindernis. Im Verlauf der Arbeit ist deutlich zu sehen, mit welcher Kraft sie dennoch eigenen Lebenszielen entgegen gehen kann.

Thema: Sicherheit im Raum
In der Nachmittagseinheit bekommen die Teilnehmerinnen
die Aufgabe mit Hilfe von verschiedenen
Materialien, sich ihren eigenen sicheren Raum zu
schaffen. Dafür wird wieder in den großen Speisesaal
gewechselt, um genügend Raum für alle zu
haben. Es werden fantasievolle und aussagekräftige
Räume gestaltet. Die ganze Gruppe
wandert daraufhin von Raum zu Raum. Die
jeweilige Person positioniert sich in ihrem Raum
und erklärt dabei ihre Kreation. Bei diesen Begegnungen,
geschützt im sicheren Raum, beginnen bei manchen Teilnehmerinnen die Tränen zu fließen. Daraus ergeben sich einige kleine stabilisierende therapeutische Einzelarbeiten. So erfahren wir mehr von den persönlichen Themen, die die Teilnehmerinnen mitgebracht haben. Eine traumatische Erfahrung vor fünf Monaten, ein Todesfall in der Familie, der Verlust einer Arbeitskollegin und Freundin durch Krebs, innerfamiliäre Streitigkeiten nach dem Tod des Vaters, welche der Töchter übernimmt die Rolle des „Mannes im Haus“.

Das Abendprogramm mit Dr. Badeen und Suzi Abou Samra hilft die Situation in der Gruppe wieder zu stabilisieren und zu beruhigen. Es ist ein Besuch beim Hakawati (Geschichtenerzähler) geplant. Der Raum wird mit Kerzenlicht und Teegläsern in ein Kaffeehaus verwandelt. Die Geschichte von der kleinen Palme, deren Leben durch einen schweren Stein beeinträchtigt wird und die dadurch eine besondere Stabilität erworben hat, wird mit musikalischen Einlagen vorgetragen.

Aufgrund der schlechten Wettervorhersagen für den geplanten Ausflugstag am Donnerstag wird der Entschluss gefasst, den Ausflug nach Maghdouche und nach Saida auf den Dienstag vorzuverlegen. Das kommt der Atmosphäre in der Gruppe entgegen nach dem intensiven und eher aufwühlenden Tag.
Dienstag, der 22.03.22
Kultureller Ausflug nach Saida unter Corona-Bedingungen
Da am Vormittag noch Regen angesagt ist, können wir noch ein Gruppengespräch über die Erlebnisse am Vorabend führen. Nach einem nochmaligen Coronatest für die ganze Gruppe steigen wir mit viel Lust und Freude in den Bus. Zunächst besuchen wir das Marienheiligtum in „Mie Mie“, das oberhalb von Saida liegt. Es besteht aus einer Höhlenkirche, an die sich die Geschichte knüpft, dass Maria dort auf Jesus gewartet habe, bis er seine


Aufgaben in der Stadt erledigt habe. Ursprünglich handelt es sich um ein altes Heiligtum der Göttin Astarte, an dem die Frauen um Fruchtbarkeit beteten und einige Tropfen des aus dem Berg austretenden Wassers getrunken haben. Das Heiligtum wird auch heute gerne von muslimischen und christlichen Frauen besucht. Es bietet zudem einen schönen Blick in die ganze Umgebung.
Danach fährt der Bus uns hinunter nach Saida, wo wir gemeinsam die Seefestung besuchen und ein wenig in die alte Geschichte der Stadt Saida eingeführt werden. Die Teilnehmerinnen freuen sich auch auf freie Zeit in der Stadt, die sie nutzen wollen, um bei Familienangehörigen einer Teilnehmerin warm zu duschen. Aber auch dort ist das Wasser leider kalt. Stattdessen können sie die Sonne an der Corniche genießen und einige Utensilien für den bevorstehenden Ramadan einkaufen.

Mittwoch, der 23.03.22
Thema: Das Fluss-Modell und der innere und äußere Vortex
Inzwischen ist das Vertrauen untereinander deutlich gewachsen, so dass auch die Bewegungseinheit am Morgen mit mehr Aufmerksamkeit und innerer Anteilnahme durchgeführt werden kann. Themen sind z.B. sich selbst im Bewegungsfluss zu erleben, aber auch im Gruppengefühl eine rhythmische Lebendigkeit wahrzunehmen.
Einige Mitglieder des Rotary-Club Chouf besuchen das Dar Assalam und interessieren sich für unsere Arbeit im Trauma-Seminar. In der Kaffeepause findet ein Gespräch mit der Fotojournalistin Ursula Messner statt, die von der Fortbildung Bilder machen möchte, um über diese Arbeit zu berichten und auf diese Weise eventuell Spenden ihres Rotary Clubs zu generieren.

Die Gruppe akzeptiert die Fotografin während der nachfolgenden Einheit. Es wird ein großer „Lebensfluss“ mit Hilfe von blauen Tüchern auf dem Fußboden gestaltet. Darauf verteilt liegen Steine, die die problematischen Erlebnisse symbolisieren sollen. Die Teilnehmerinnen haben die Möglichkeit mit Naturmaterialien, verschiedenen Blumen und Blüten,
Ästen und Zapfen, etwas zu den Steinen dazu zu legen und auszusprechen, was ihnen hilft mit schwierigen Lebenssituationen zurecht zu kommen. So entstehen ein schönes Bild und eine Vorstellung zu der Vielzahl von Ressourcen, die den Menschen zur Verfügung stehen. Im Anschluss wird die Bedeutung von Ressourcen in der Arbeit betont, die nun sehr konkret und persönlich anschaulich erlebt worden sind, und im Anschluss kognitiv integriert werden können.
In der Mittagspause kann anhand dieser bunten Darstellung den Mitgliedern des Rotary Clubs Chouf unsere Arbeit in der Fortbildung erklärt werden. Am Nachmittag werden die Teilnehmerinnen aufgefordert, auf einem großen Papier ihren eigenen Lebensfluss aufzumalen und sich im Austausch darüber, auf das zu konzentrieren, was ihnen jeweils geholfen hat.


Der theoretische Hintergrund basiert auf dem Lebensflussmodell nach P. Levine. Darin wird das Trauma als Grenzverletzung des Lebensflusses dargestellt, so dass die Lebensenergie aus dem Fluss in den Traumastrudel („äußerer Vortex“) abgezogen wird. Die eigene Lebenskraft und Erfahrung, die vielen genannten Ressourcen bilden den Gegenstrudel zurück in den Lebensfluss (dem „inneren Vortex“). Dieses Modell verdeutlicht für die Teilnehmenden sehr einleuchtend noch einmal die Bedeutung der an das Trauma gekoppelten Ressourcen. Sie werden zur Vertiefung in einer abschließenden Einheit gesammelt, wiederholt und nach unterschiedlichen Kategorien geordnet.
In der Abendeinheit von Dr. Badeen und Suzi Abu Samra wird mit musikalischen Mitteln die Erfahrung der Aktivierung und Deaktivierung des Nervensystems vermittelt, womit am nächsten Tag gearbeitet werden soll. Die Teilnehmerinnen lernen Begriffe wie Piano und Forte, sie machen Stimmübungen in Höhen und Tiefen und reagieren in zwei Gruppen aufeinander mit Tönen und Gesang.

Donnerstag, 24.03.22
Thema: Die automatischen Reizreaktionen bei überwältigenden Ereignissen
In der morgendlichen Bewegungseinheit wird die Erfahrung vertieft, einen gemeinsamen
Rhythmus durch gemeinsame Bewegung zu üben. Das „aus der Reihe tanzen“ führt hierbei nicht
zu einem Ausschluss aus der Gruppe. Sich im Gruppengefüge zu bewegen und dies nicht als
Einengung und reine Anpassung zu erfahren, ist eine wichtige Übung für das Sozialverhalten. Die
Einheit wird so aufgebaut, dass die Teilnehmerinnen sich am Ende kohärent - wie ein
Vogelschwarm - miteinander fortbewegen. Immer wieder übernimmt eine andere Teilnehmerin die
Führungsposition, die wie zufällig an die Spitze der Gruppe gelangt ist. Hier kann die Situation von
´Führung übernehmen` bzw. ´Verantwortung tragen` eingeübt werden.
Im theoretischen Unterricht wird mit einer beispielhaften Erzählung der Ablauf einer
Traumatisierung als Aktivierung des Nervensystems erklärt. In der Erregungskurve werden die
Abschnitte der verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten (Fight, Flight) auf eine bedrohliche Situation
gut darstellbar. So weit der Mensch Reaktionsmöglichkeiten hat, bleibt die Erregungsstufe noch im
Bereich des „Ich kann“. Erst dann, wenn es
keine Möglichkeiten des Individuums gibt,
um sich zu schützen, wechselt das Nervensystem, die Überforderung führt zum „Ich kann nicht“. Das kann zum Kollabieren, Erstarren, zur Ohnmacht und zum Schockzustand führen (Freeze). Für die Teilnehmerinnen veranschaulicht das Schaubild viele eigene Geschichten. Im Gespräch können die Verbindungen deutlich werden, das Verständnis für die Körperreaktionen des autonomen Nervensystems und auch noch einmal die Strudel des Lebensflusses nachvollzogen werden. Hier steht die Bewältigung der verschiedenen eigenen Erlebnisse im Vordergrund.

In der Dardaché am Nachmittag werden Bewältigungsstrategien und Rituale der palästinensischen
Gesellschaft besprochen:
- Trauerrituale
- die gegenseitige Anteilnahme an allen Ereignissen des Lebens durch häufige Besuche
- die Hochzeitsfeiern
- die Rituale zur Geburt eines Kindes
- die Tradition des Geschichtenerzählens
- die Bewahrung der Erinnerungen an die alte verlorene Heimat
- das gemeinsame Singen sowie
- die sehr gerne wahrgenommene Gelegenheit zum gemeinsamen Tanzen und Singen.
Der weitere Nachmittag steht den Teilnehmerinnen zur freien Verfügung.
Die DozentInnen machen sich an die Vorbereitung eines Tanzfestes am Abend, wozu die Teilnehmerinnen eingeladen sind. Es gibt schon im Vorfeld einen lebhaften Austausch von Musikstücken und so wird am Abend begeistert getanzt im Wechsel von Debke, zu arabischem Pop und westlicher Musik.

Freitag, 25.03.22
Thema: Wirksame Hilfe bei Erstarrung und Fixierungen, welche sich auf verschiedene
Weisen zeigen können (in Gedanken, körperlich oder emotional)
Für den Freitag steht das Thema Pendulation auf dem Programm, das auch wieder über eine
tanztherapeutische Bewegungseinheit vorbereitet wird. Durch das Spiel mit dem Gewicht und dem
Gleichgewicht kann ganz physiologisch ein Pendeln erlebt und das Thema eingeleitet werden. Der
Aufbau findet statt, indem Verbindungen wahrgenommen werden sollen z.B. von Kopf hin zum
Fuß und zurück, von der Hand zum Knie etc. Vom reinen Hin und Her wird allmählich gewechselt
zu differenzierteren Übergängen. Das Bewegen einer liegenden Acht mit dem Becken oder auch
mit den wie auf der Luft liegenden Handflächen lässt die einander gegenüberliegenden Pole
spüren. Dies stellt die Vorbereitung dar, um mit schwierigen Fixierungen umzugehen. Die
Bereitschaft sich auf diese Übungen einzulassen ist von Tag zu Tag gestiegen und so können sie
immer effektiver genutzt werden. Das „entweder - oder“ Phänomen bei einer überwältigenden
Situation ist häufig eine Folge der Bewältigungsstrategie. Es ist den Teilnehmerinnen eine
bedeutsame Erfahrung, sich aus dem „entweder - oder“ Muster lösen zu können. Es ist immer
beides vorhanden. Das ermöglicht dem Nervensystem den Anfang einer Flexibilisierung. Nach der
Erfahrung folgt die Theorie der Pendulation.
Im weiteren theoretischen Unterricht wird auch die Liste der Notfallmaßnahmen im Fall einer Krise
und einer akuten traumatischen Situation besprochen. Wieder werden dadurch eigene Erlebnisse
hervorgerufen: Erfahrungen aus dem Krieg 2006, während der Explosion im Beiruter Hafen 2020,
Erlebnisse von Gewalt, so auch die häufig erlebte Gewalt in der Familie. Aufgrund der vielseitigen
Vorbereitungen können auch diese Gespräche konzentriert werden auf die Bewältigung dieser
Herausforderungen. Die traumatischen Ereignisse werden benannt und die Teilnehmerinnen sind
nicht von den Gefühlen überflutet worden. In diesem Zusammenhang finden die ersten
Demonstrationen zum Thema Pendulation statt. In diesem Bericht kann dies nur oberflächlich
erklärt werden: z.B. wird beim Pendulieren zu einem unangenehmen Gefühl, einer unangenehmen
Körperwahrnehmung oder Erinnerungsbild ein angenehmer Gegenpol gesucht, um mit der
Aufmerksamkeit zwischen beiden Polen hin und her zu pendeln und zu erleben was daraus
eventuell Neues entsteht. Hierzu finden verschiedene Einzelarbeiten statt.
Am Nachmittag haben die Teilnehmerinnen die Gelegenheit eine große liegende Acht zu laufen. In der einen Schlaufe der Acht liegt ein großer Stein, der alle schweren Ereignisse symbolisiert, und in der anderen Schlaufe steht eine Schale mit Blumen, die die Ressourcen der Teilnehmerinnen darstellt. Die Teilnehmerinnen laufen zu zweit, jede in ihrem eigenen Tempo, um die Außenlinie der Acht herum.

Die erste Reaktion auf diese Aufgabe von einigen Teilnehmerinnen ist: „Das kann ich nicht machen, dann muss ich weinen!“ Aber nachdem sie verstehen, dass es nicht darum geht, in die Schlaufe hereinzutreten und die schweren Ereignisse im Einzelnen zu erleben, sondern darum, außen herumzulaufen und den Wechsel zu erleben hin zu der Seite der Ressourcen, wagen sie es. Es gibt im Anschluss noch einmal sehr lebhafte Gespräche und die Gelegenheit, eigene Bewältigungsstrategien zu verstehen und eventuell zu verändern, z.B. auch einmal eine helfende Hand anzunehmen.
Gegen Ende der Fortbildung muss die Integration des Erlebten und Gelernten Raum bekommen. Die Teilnehmerinnen werden zunächst noch einmal eher meditativ durch den Ablauf der Fortbildung geführt und dann aufgefordert, einen Brief an sich selbst zu schreiben mit den Erkenntnissen dieser Tage, derer sie sich selbst immer wieder vergewissern wollen. Es wird deutlich, dass Briefe schreiben, eher zu
einer ungewohnten Tätigkeit geworden ist, da sich die Kommunikation häufig auf Kurznachrichten in „WhatsApp“ beschränkt. Dieser Brief wird in die am Anfang ausgeteilte Engelskarte gelegt. Die Engelskarte kann nun auch noch mit verschiedensten Materialien kreativ umgestaltet werden, um eine beschützende Figur zu gestalten, die den Teilnehmerinnen selbst gefällt.

In der abendlichen Dardaché erzählen die Teilnehmerinnen von ihrer eigenen Sicht auf das Angebot der Fortbildung. Was sie für sich annehmen konnten, was sie gelernt haben und was sie auch in ihrer eigenen Arbeit einsetzen können.
Samstag, 26.03.22:
Der letzte Vormittag der Fortbildung wird genutzt für Rückmeldungen an die Organisation des
Hauses und auch für Rückmeldungen an das Team der DozentInnen.
Angeregt wird die Bildung von „Peergroups“, die sich je nach örtlicher Begebenheit zwischendurch
treffen können, auch im Kontakt mit den Teilnehmerinnen der vorherigen Fortbildungen.
Zum gemeinsamen Abschluss kann die Gruppe endlich bei schönem Wetter einmal im Garten
zusammenkommen. Suzi Abou Samra hat einen Kanon vorbereitet, der gelernt wird. So kann
nochmal der gemeinsame Rhythmus, die Kohärenz und Gemeinschaft mittels eines gemeinsam
gesungenen Liedes erlebt werden.
Nach dem letzten gemeinsamen Mittagessen und einem Gruppenfoto zum Abschluss machen sich
die Teilnehmerinnen alle auf den Weg in ihre verschiedenen Lager.

Rückblick
Aus Sicht des DozentInnenteams hat sich die Gruppe nach anfänglichen Vorbehalten sehr gut
entwickelt. Die Abwehrhaltung bei einigen hat sich aufgelöst und eine immer wissbegierigere und
interessiertere Einstellung machte das Unterrichten zunehmend leichter. Den Teilnehmerinnen ist
es immer deutlicher geworden, dass es in der Fortbildung zunächst um sie selbst geht, um das
Kennenlernen ihres eigenen Nervensystems und um die damit verbundene Wahrnehmungsfähigkeit.
Das Schulen des eigenen Körpergefühls und das Verständnis für ihre eigenen
traumatischen Erlebnisse fördert die Selbstregulation, was wiederum die Voraussetzung ist, mit
traumatisierten Menschen arbeiten zu können. Sie haben verstanden, dass es in diesem Modul
um ihr persönliches Wachstum geht, was sich auf ihre Arbeit auswirken wird. Viele von ihnen
brauchen Übungen und Anregungen, mit denen sie ganz konkret in ihren Gruppen arbeiten
können. Manche der erlebten Übungen eignen sich dafür, aber dieses Modul der Fortbildung ist
nicht direkt daran ausgerichtet. Gleichzeitig werden sie eine höhere Sensibilität mitnehmen für die
angespannten Nervensysteme ihrer GruppenteilnehmerInnen. Sie werden von der Erfahrung und
dem gemeinsamen Erleben, wie das autonome Nervensystem (ANS) auf Trauma reagiert und wie
es sich anfühlt, entspannen zu können, hoffentlich schon jetzt profitieren können.
Wir schließen diesen Bericht mit einem herzlichen Dankeschön im Namen aller Teilnehmerinnen an die Spender und Spenderinnen, die diese Fortbildung ermöglicht haben.
Ruth Simon- Weidner, Suzi Abou Samra, Dr. Edward Badeen und Friederike Weltzien